Vater und Sohn Rohde – einig in der Liebe zur Glaskunst

Es ist ein Glücksfall für die kunsthandwerkliche Sammlung der Freunde Worpswedes in der Käseglocke: Aus Bremer Privatbesitz kam ein komplettes Fensterbild des Bremer Glaskünstlers Georg Karl Rohde (1874 – 1959) als Dauerleihgabe in das Museum. Diese undatierte, aber wohl nach dem 1. Weltkrieg für einen bislang unbekannten privaten Auftraggeber entstandene Arbeit ist seit mehr als fünf Jahrzehnten im Besitz der Leihgeberin – woher ihr einst am Bremer Theater in der Dramaturgie tätiger Vater dieses Bildnis hatte, ist nicht klar. Mit dem Glasfenster erhöht sich die Zahl der Exponate von Georg Karl Rohde und seinem ebenfalls als Glaskünstler tätigen Sohn Werner Rohde (1906 – 1990) auf 55 Arbeiten. Im Fundus der Käseglocke ist kein Künstlername häufiger vertreten.

Von Georg Karl Rohde besitzt die Käseglocke einige kleinformatige Glasbilder, deren profane und christliche Motive Mädchen, Frauen und Engel zeigen. Das nun in die Käseglocke gekommene 120 Zentimeter hohe und 60 Zentimeter breite Fenster zeigt unter einem Rundbogen einen zentralen vielzackigen Stern auf rotem Grund, ein Haus und eine Art Lebensbaum im oberen Drittel, eine Frau und einen Mann in mittelalterlich anmutender Kleidung im Mittelteil sowie eine Hansekogge mit dem bremischen Schlüssel im Hauptsegel im unteren Teil der Arbeit. Getrennt sind alle sechs Felder durch gelb gehaltene Glasbalken, auf denen das Stern-Motiv mehrfach wiederholt wird.  Werner „Tüt“ Rohde ist in der Sammlung vor allem mit kleinformatigen Hinterglasbildern vertreten. Fotografien, Zeichnungen und Acrylbilder sowie ornamentale Glasarbeiten von ihm ergänzen diesen Bestand.

Wer waren nun Vater und Sohn Rohde? Während Georg Karl Rohde insbesondere in Bremen -aber auch in vielen anderen Städten Deutschlands- christliche und profane Bauten mit Glasarbeiten ausstattete, hat sein Sohn „Tüt“ eine ganz ungewöhnliche, zwei-geteilte Karriere erlebt. In den 1920-er und 1930-er Jahren arbeitete er als Fotograf -seine Bilder aus dieser Zeit wurden erst Jahrzehnte später angemessen gewürdigt, fanden Eingang in große museale Fotosammlungen und erzielten bei Auktionen Höchstpreise. Nach 1945 hat „Tüt“ Rohde erstaunlicherweise nie mehr professionell fotografiert, dafür aber zuerst seinem Vater in der Bremer Werkstatt zur Seite gestanden und später in eigener Regie Glasarbeiten für öffentliche Gebäude und eine große Zahl von kleinformatigen Hinterglasbildern geschaffen, die durch ihre farbigen, naiv wirkenden Motive auf großes Interesse stießen. 

Der in Oldenburg geborene Georg Karl Rohde war gelernter Maler und arbeitete für seine Lehrfirma in Hannover (Lauterbach) häufig in Kirchen. Dort entstand sein Interesse an Glasbildern. 1901 zog Rohde nach Bremen, weil dort Gewerbefreiheit galt und er sich auch ohne Meisterbrief selbstständig machen konnte. Der Meisterbrief ist ihm viele Jahre später von der Handwerkskammer ehrenhalber verliehen worden.Der in Oldenburg geborene Georg Karl Rohde war gelernter Maler und arbeitete für seine Lehrfirma in Hannover (Lauterbach) häufig in Kirchen. Dort entstand sein Interesse an Glasbildern. 1901 zog Rohde nach Bremen, weil dort Gewerbefreiheit galt und er sich auch ohne Meisterbrief selbstständig machen konnte. Der Meisterbrief ist ihm viele Jahre später von der Handwerkskammer ehrenhalber verliehen worden.

Nach Zwischenstationen in zwei Glaserbetrieben im Ostertorviertel richtete Rohde sich 1906 seine eigene Werkstatt am Dobben ein und beschäftigte vor dem 1. Weltkrieg zeitweilig bis zu 16 Mitarbeiter. Seine Glasbilder waren begehrt – schon 1925 bemerkte Gustav Brandes in einem ausführlichen Text in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift „Niedersachsen“ rückblickend: „In Bremen wurde bei der großen Bautätigkeit kaum ein repräsentatives Bauwerk vollendet, das nicht an einer bemerkenswerten Stelle ein Fenster von Rohdes Hand erhalten hätte, und kaum übersehbar ist die Zahl der Privathäuser, in denen er dem einen oder anderen Raum einen köstlichen, stark wirkenden Schmuck gegeben hat.“

Die Liste der Bauwerke, die Georg Karl Rohde mit seinen Fenstern schmückte ist beachtlich. 1906 vollendete er eine Serie von Chorfenstern im St. Petri Dom, 1950 vollendete er dort die große Rosette in der Westfront und ein Jahr später auch die im Krieg zerstörten Chorfenster. Kirchenfenster in Oldenburg und Bad Harzburg, die Synagoge, die St. Jacobi-Kirche und das Gewandhaus in Braunschweig, die Alexanderstiftskirche in Wildeshausen, die Fenster an den Schmalseiten der Oberen Rathaushalle mit den Wappen der Bremer Bürgermeister des 19. Jahrhunderts, der Bremer Ratskeller, Treppenhäuser im Haus Schütting und im Gewerbehaus, die Kapelle des St. Joseph Stifts, die Stadtkirche Vegesack, die Oldenburger Synagoge, das Kurhaus Wiesbaden, die Kapelle auf dem Friedhof Bremen-Osterholz, das Haus des Reichs in Bremen, die Bremer Biermann-Villa, in der sich heute das Kippenberg Gymnasium befindet, und die Villa Hohehorst der Familie Lahusen in Schwanewede-Löhnhorst – in allen diesen Gebäuden und selbst im fernen Brasilien fanden die Kunstwerke Rohdes ihren Platz.

Alle diese Arbeiten bildeten die künstlerischen Schwerpunkte ihrer jeweiligen Entstehungszeit ab – vor 1914 wiesen Rohdes Glasfenster häufig Elemente des Jugendstils auf, wurden 1906 in Dresden und 1911 in Brüssel mit hohen Auszeichnungen bedacht. Nach dem 1. Weltkrieg bevorzugte Rohde eine eher expressive, herbe Ausführung. Statt sanfter Kurven und elegisch blickenden Frauengestalten wählte er nun lange, gerade schnittige Züge in den die Bildwelten unterteilenden Bleiruten, löste Ornamente vom Naturvorbild und gab ihnen eine geometrisch-abstrakte Form.

Nach der Zerstörung der Werkstatt im 2. Weltkrieg setzte Georg Karl Rohde seine Arbeit in der notdürftig instandgesetzten Behausung Am Dobben 58 ab 1945 fort – Kriegsschäden in der Kapelle des St. Joseph Stifts und am Bremer Dom und deren Beseitigung standen ziemlich am Anfang des Wiederbeginns für den schon über 70-jährigen Glaskünstler. Eine Würdigung im Weser-Kurier lobte 1949 zum 75. Geburtstag die „ungebrochene Unternehmungslust“ und „Frische“ des Jubilars. Eine letzte große Arbeit vollendete Rohde 1957 in der Kirche Oberneuland.

Eine große Stütze war ihm bis zuletzt sein Sohn Werner, der in der Familie und bei Freunden nur Tüt nach einer Figur aus Gustav Frenssens Roman „Jörn Uhl“ genannt wurde. Dass Tüt irgendwann in die Fußstapfen seines Vaters treten würde, war nach dessen Abitur 1925 am Neuen Gymnasium Bremen wahrscheinlich, aber nicht sicher. Ein ins Auge gefasstes Studium am Bauhaus kam nicht zustande, weil sich diese Hochschule gerade im „Umzugsstress“ von Weimar nach Dessau befand. Also begann Werner Rohde noch 1925 ein Studium an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale, trat dort in die Malklasse von Professor Erwin Hahs ein, beschäftigte sich mit Schrift und Film und mit der Fotografie.

In der Malerei waren ihm keine großen Erfolge beschieden, die intensive Beschäftigung mit den anderen Bildmedien wurde später als Versuch einer Abgrenzung vom Metier des Vaters interpretiert. Schon 1927 kehrte Rohde jedoch nach Bremen zurück und absolvierte eine Kurzausbildung als Glasmaler in der väterlichen Werkstatt – die einschlägige Gesellenprüfung legte er erst im März 1948 in Hannover ab. Einschneidende Erfahrungen sammelte der junge Tüt 1929 während eines halbjährigen Aufenthalts in Paris. Dort studierte er intensiv die Kirchenfenster, lernte den niederländischen Künstler und lebenslangen Freund Paul Citroen kennen und fotografierte mit der jungen Marianne Breslauer Stillleben und Szenen des Pariser Alltags. In diesem Jahr reichte Tüt Rohde auch erstmals Fotografien zur Ausstellung „Film und Foto“ des Deutschen Werkbundes in Stuttgart ein – sieben Arbeiten wurden präsentiert. Zu sehen waren dort Bilder, die die Schulung durch den bedeutendsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie, Hans Finsler, noch auf Burg Giebichenstein verrieten.

Nach der Stuttgarter Ausstellung nahm Rohde bis Mitte der 1930-ger Jahre an großen Fotoausstellungen im In- und Ausland teil und erhielt auf der 5. Triennale Mailand 1933 eine Goldmedaille. Präsentiert wurden stets fotografische Stillleben, Porträtfotos, surrealistische Arbeiten und inszenierte Objektaufnahmen.

1935 geschah dann etwas Merkwürdiges: Tüt Rohde gab die freie Fotografie für immer auf, arbeitete während der NS-Zeit in diesem Metier nur noch im Focke-Museum bei der Inventarisierung von musealen Objekten. Ausstellungen wurden ihm verweigert, weil er keinen Meisterbrief hat, nicht Mitglied der Reichspressekammer war und wie sein Vater auch nicht in die Reichskammer der Bildenden Künste aufgenommen wurde. Die Rohdes hielten sich durch Gelegenheitsarbeiten wie Wandmalerei, Anstricharbeiten und den Entwurf von Stammbäumen über Wasser. 1940 wurde Tüt Rohde zum Militär eingezogen und kehrte erst 1945 nach der Gefangenschaft in das zerstörte Bremen zurück. Seine Frau Renata, eine geborene Bracksiek, die er 1937 geheiratet hatte, war bei Kriegsende schon in Worpswede – 1944 war ihr Bremer Modesalon, in dem Tüt seit 1928 auch fotografiert hatte, bei einem Bombenangriff zerstört worden. Tüt folgte in eine kleine Wohnung auf einem Bauernhof in der Straße Auf der Wurth. Diesen Hof gibt es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr, dort steht heute das Worpsweder Schulzentrum.

Tüt und Renata Rohde zogen in den Fünfziger Jahren in den Schluh um und bewohnten dort bis zu ihrem Lebensende ein Doppelhaus – in dem einen schlichten Bau befand sich das Modeatelier von Renata, die dort bis ins hohe Alter Jahr für Jahr legendäre Modenschauen mit Mannequins aus dem Dorf organisierte. In dem zweiten weißen Haus hatte Tüt sein Atelier, hier entstanden die Hinterglas- und Glasbilder, für die er 1965 mit einem Sonderpreis des Niedersächsischen Kunsthandwerks ausgezeichnet wurde. Ein Leben lang war er mit dem Keramiker Otto Meier, mit dem Archivar Hans-Herman Rief, mit dem Verleger Peter Elze und dem Tischler und Nachbarn Hans Georg Müller befreundet. Mit Rief und Friedrich Netzel gehörte er zu dem festen „Hänge-Team“ in der Worpsweder Kunsthalle.

Ein anderer lebenslanger Freund aus Pariser Tagen, der Künstler Paul Citroen,  war es schließlich, der in den 1970-ger Jahren Ann und Jürgen Wilde, die leidenschaftlichen Kölner Sammler von Fotografien, auf das Frühwerk Tüt Rohdes aufmerksam machte. Die Wildes, aber auch der Galerist und Sammler F.C. Gundlach, haben die Wiederentdeckung des Fotografen Rohde nachhaltig vorangetrieben. Heute erzielen die Arbeiten und insbesondere die Originalabzüge, die Vintage Prints, auf Auktionen sehr hohe Preise. Rohdes Fotografien gehören mittlerweile in die Sammlungen bedeutender Museen, also beispielsweise in die des Sprengel-Museums, des Bauhaus Archivs, des Centre Pompidou, des Getty Museums St. Monica/Kalifornien, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, des Folkwang Museums, des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg und des Kölner Ludwig-Museums. Die Glasbilder von Tüt Rohde findet man dagegen in der Käseglocke und vermutlich in sehr vielen Privathaushalten der Region – im Gegensatz zu den Fotografien sind sie auch für kleines Geld zu haben. Noch.