– Tuchfabrikant – Schauspieler – Schriftstellerfamilie – Wissenschaftler –
Vorbemerkung
Die Familiensaga der Koenemanns birgt eine bemerkenswerte Vielfalt. In den vorhergehenden zwei Teildarstellungen wurden bereits interessante Kapitel ausgewählt. Begonnen hatte die Saga – und das liegt für Worpswede besonders nahe – natürlich mit Edwin Koenemann (1883-1960), dem Erbauer des eigenartigen Rundbaus, der vom Volksmund so getauften „Käseglocke“. Da gab es schon manches an Neuigkeiten aus den Archiven und durch die Recherchen im Internet aufzudecken, was das in Worpswede verbreitete Selbst- und Fremdbild von ihm um einige Facetten ergänzt, vielleicht sogar das eine oder andere im Hinblick auf seine Eigenarten und Charakterzüge verständlicher macht.
Ein zweiter Ausschnitt aus der breitgefächerten Familiensaga der Koenemanns führte zu einer Person, die wahrscheinlich selbst Edwin Koenemann nicht bekannt, aber trotzdem von Bedeutung war. Es handelte sich um den russischen Komponisten und Pianisten Fjodor Fjodorovich Koenemann (1873-1937). Dieser war über Jahrzehnte Professor am bedeutenden Moskauer Konservatorium. Vor allem aber war er dadurch bekannt geworden, dass er den berühmten russischen Bassisten Fjodor Schaljapin (1873-1938) auf gemeinsamen Tourneen durch die Konzertsäle der Welt virtuos am Klavier begleitete und für diesen großartigen Sänger auch Musikstücke arrangierte.
Edwin und Fjodor Koenemann waren Cousins zweiten Grades, d.h. ihre Väter waren Cousins und die Großväter Brüder. Den Urgroßvater väterlicherseits hatten sie gemeinsam. Dieser Urgroßvater hieß Friedrich Wilhelm Koenemann (1769-1840), und der tat etwas, was in den Koenemannfamilien in verschiedenen Generationen nicht unüblich war: er heiratete nämlich 1795 eine Tochter aus einer der Peltzerfamilien, in diesem Falle Adelheid Gertrud Peltzer (1772-1846).
Die Peltzerfamilien
Die Peltzers haben ihren Ursprung im Raum Aachen, wo sie sich zunächst als Wollhändler und Tuchmacher betätigten. Ein Familienzweig, der wirtschaftlich erfolgreichste, veränderte sich bereits im 16. Jahrhundert in das nahegelegene Stolberg. Durch eheliche Verbindungen mit besonders erfolgreichen Fabrikantenfamilien (wie u.a. Schleicher, Lynen oder Hoesch) stiegen Mitglieder der Familie in die dort ansässige Kupfer- und Messingindustrie ein. Nachdem allerdings im Zuge der Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts der Betrieb von Kupferhöfen unrentabel geworden war, besannen sich die Peltzers ihres Ursprungs, d.h. sie wurden wiederum Tuchfabrikanten. Hierzu wechselten sie in die damaligen Zentren ins belgische Verviers bzw. Eupen über.
Die Geschichte, die hier im Folgenden erzählt werden soll, beginnt mit Johannes Wilhelm Peltzer (1770-1849), einem Nachkommen aus der im Raum Stolberg ansässigen Kupfermeisterfamilie. Er war seit 1793 mit Anna Sophia Esser (1768-1841) verheiratet, die aus der Familie eines wohlhabenden Eisenfabrikanten in Stolberg-Schevenhütte stammte und mit ihm als Witwe ihre zweite Ehe eingegangen war. Johannes Wilhelm ließ sich mit seiner Ehefrau in Weisweiler am Rande der Eifel nieder und war dort in sehr unterschiedlichen Geschäftsbereichen tätig: Einerseits verlegte er sich auf die Branntweinherstellung, andererseits auf die Eisenverhüttung. Viel Vermögen erwarb er jedoch als Immobilienmakler. Und da die heimatliche Region zwischen 1798 und 1814 von Frankreich annektiert worden war (Département de la Roer), wurde er sogar als glühender Verehrer Napoleons Bürgermeister (Maire) in Weisweiler. Da in dieser Zeit auch Klöster säkularisiert wurden, erwarb Johannes Wilhelm Peltzer als Wohnsitz das nahegelegene Kloster Wenau mit seinen ausgedehnten Ländereien. In Wenau wurden acht Kinder geboren, fünf Jungen und drei Mädchen. (Johannes Wilhelm stammte übrigens aus einer Familie, dessen Eltern mit 14 (!) Kindern gesegnet war.)
Da die Nachkommen aber am Ende der Franzosenherrschaft in der Region keine wirtschaftliche Perspektive für ihre Zukunft sahen, wanderten sie allesamt nach Russland aus. Den Anfang machte der älteste der Söhne, der 1795 geborene Johann Sigismund. Er hatte sich bereits als Siebzehnjähriger im Jahre 1812 pflichtgemäß, aber auch aus napoleonischer Begeisterung dem Russlandfeldzug des französischen Herrschers angeschlossen. Nach der verheerenden Niederlage Napoleons war er als einer der wenigen heimgekehrt, aber kurze Zeit später erneut nach Russland aufgebrochen. Schnell hatte er dort wirtschaftlich Fuß gefasst. Diese Erfahrungen veranlassten dann den nächstältesten Bruder Napoleon Peltzer (* 1802), das Wagnis der Auswanderung auf sich zu nehmen. Ihm soll nun die ganze Aufmerksamkeit gelten, weil er für den Fortgang dieser Darstellung von besonderer Bedeutung sein wird.
Napoleon Peltzer
Napoleon Peltzer folgte als 19-Jähriger im Jahre 1821 seinem Bruder Johann Sigismund ins Zarenreich – und er tat dies auf eine besonders anstrengende Weise, indem er sich zu Fuß von Wenau aus auf den Weg nach Moskau machte. Dort fand er unter Mithilfe seines älteren Bruders offenbar bald Anschluss, sodass er verhältnismäßig schnell den Schritt in die Selbstständigkeit als Tuchfabrikant wagen konnte. Als er 1831 für seine Tuchkreationen auf der Moskauer Industrieausstellung sogar eine Goldmedaille errang, war dies der Durchbruch in eine glänzende wirtschaftliche Zukunft. Sie führte ihn ab 1845 nach Narva im heutigen Estland. Das Land war damals ein Gouvernement des Zarenreiches.
Gefolgt war Napoleon Peltzer einem Ruf des Bankiers Baron Ludwig Stieglitz (1779-1843) aus St. Petersburg, dem „Rothschild Russlands“. Mit dessen finanzieller Unterstützung sollte er in Narva eine insolvente Tuchfabrik übernehmen und auf den neuesten technologischen Standard bringen. Es gelang ihm schließlich, diese Fabrik, die Narva-Tuchmanufaktur AG (Narovskaja Manufaktura), zu einem der renommiertesten Unternehmen Russlands zu machen, denn ihm ging der Ruf voraus, dass alles, was er berühre, sich in Gold verwandele (vgl. Isabella Nadolny 2010, S. 33). Ein Schwerpunkt der Fabrikation war, die Kaiserliche Russische Armee mit qualitativ hochwertigen Stoffen zu versorgen. Das Ansehen Napoleon Peltzers gründete sich auch darauf, dass er seinen Arbeitskräften soziale Wohltaten zukommen ließ. In Narva und auf den sonstigen herrschaftlichen Anwesen der Peltzers, so in seinem Wohnort Cremersmühlen bei Narva, waren auch regelmäßig Mitglieder des Hochadels zu Gast, darunter der deutsche Kaiser Wilhelm I. und Zar Alexander II.
Napoleon Peltzer hatte im Jahre 1833 noch in Moskau Katharina Emilia Charlotta Mollenhauer (1820-1878) geheiratet, die Tochter eines aus Königsberg stammenden Klavierbauers. Äußerlich fiel an ihr auf, dass sie schräggestellte, mandelförmige Augen hatte, was gerüchteweise damit erklärt wurde, dass ihre Mutter eine tatarische Prinzessin gewesen sein soll (vgl. Isabella Nadolny 2010, S. 31). Erwähnenswert an dieser Verbindung war aber auch, dass die Braut nicht nur 18 Jahre jünger als der Ehemann, sondern zur Zeit der Eheschließung erst 13 Jahre alt war.
Napoleon und Katharina hatten zusammen zehn Kinder, sechs Mädchen und vier Jungen. Fünf von ihnen waren noch in Moskau geboren worden, die übrigen kamen in Narva zur Welt. Drei von ihnen haben später Russland verlassen und sich in Deutschland verheiratet. Die anderen haben sich entweder in Narva, Moskau oder St. Petersburg niedergelassen und an diesen Orten das reiche Erbe ihrer Eltern verwaltet. Aber eine der Töchter, nämlich Katharina, und der jüngste der Söhne, Alexander, werden im Verlaufe dieser Darstellung noch eine Rolle spielen.
Am Rande sei hier noch vermerkt, dass sich unweit der von Napoleon Peltzer geleiteten Fabrikanlagen[1] ab 1856 der Bremer Großkaufmann Ludwig Knoop (1821-1894) auf der Narva-Flussinsel Krähnholm mit einer Baumwollfabrik ansiedelte. Diese Fabrik Knoops entwickelte sich schließlich zu einem der weltweit größten Textilindustriekomplex. Bis zu 12.000 Arbeiter waren dort beschäftigt. Der Narvafluss, in dem die Insel Krähnholm liegt, mit dem dort befindlichen Wasserfall sorgte für den Antrieb der Turbinen, die die bis zu 22.000 Webstühle mit Strom versorgten. Wie Peltzer zeigte auch Knoop sein soziales Bewusstsein für die Beschäftigten: Neben Wohnblöcken für die Familien der Arbeiter ließ er eine Schule, einen Kindergarten, sogar ein Krankenhaus und zwei Kirchen bauen.
Knoop und Peltzer waren also Konkurrenten. Aber dank der außergewöhnlichen Fähigkeiten beider konnten sich die von ihnen aufgebauten Fabriken nebeneinander für lange Zeit behaupten.
In meinem Thema wurde als erstes auf die (angebliche) verwandtschaftliche Beziehung zwischen den Koenemanns und einer Tuchfabrikanten-Familie abgehoben. Gemeint ist hier offenbar die Familie Peltzer. Konkret: Wie ist Edwin Koenemann aber nun genau mit jenem berühmten Napoleon Peltzer verwandt?
Napoleon Peltzer hatte, wie schon berichtet, sieben Geschwister, darunter drei Schwestern. Eine davon, nämlich die zwei Jahre jüngere, war Helene Anna (1805-1876).
Helene Anna Peltzer
Über ihren Werdegang gibt es nichts Vergleichbares wie zu ihrem Bruder Napoleon zu berichten. Immerhin ist aber bekannt, dass sie wie alle anderen Geschwister wahrscheinlich in den 1820er Jahren die linksrheinische Heimat in Richtung Moskau verlassen hat. Und dort tat sie etwas, was bei den Peltzers nicht unüblich war: Sie heiratete im Jahre 1831 einen Nachkommen aus einer Koenemannfamilie, in diesem Falle Victor Alexander Koenemann (1805-1885), den Großonkel von Edwin, also den Bruder seines Großvaters Albert.
Die deutschen Unternehmerfamilien achteten also darauf, möglichst unter sich zu bleiben – und das hieß auch, dass sie nahezu ausnahmslos Deutschstämmige heirateten, zuweilen auch Cousinen und Cousins. Von der russischen Unternehmerschaft trennte sie in der Regel auch die Religion, was im Falle einer Nachkommenschaft bedeutet hätte, die Kinder im Sinne der russisch-orthodoxen Kirche zu erziehen.
An dieser Stelle soll jetzt einer weiteren verwandtschaftlichen Beziehung, nachgegangen werden, deren Inhalt gleichwohl von herausgehobenem Interesse und in den Details vollkommen unbekannt ist. Es handelt sich dabei immerhin um einen der bekanntesten deutschen Film- und Theater-Schauspieler der Gegenwart, der sich zugleich seit seiner Jugend als Musiker betätigt hat, seit einigen Jahren auch als Buchautor[2]hervorgetreten ist. Und das beinahe Interessanteste, aber (aus Worpsweder Sicht) natürlich nicht Ungewöhnliche ist: Dieser sehr bekannte Mann kommt ab und zu nach Worpswede, um in der MusicHall aufzutreten, dem angesagten Club für Konzerte nationaler und internationaler Interpreten sowie für Lesungen.
Die Familiengeschichte eines bekannten Schauspielers
Diese Geschichte beginnt damit, dass der bekannteste Spross aus den Familien der Peltzers, nämlich Napoleon Peltzer, eigentlich einen zweiten, allerdings meistens nicht erwähnten Vornamen hat, und zwar Tukur, er also vollständig Napoleon Tukur Peltzer heißt. Wie es zu diesem sicher ungewöhnlichen Vornamen gekommen ist, wird verschiedentlich berichtet (u.a. Isabella Nadolny 2010, S. 26). Nach diesen Informationen war der (weiter oben ausführlich vorgestellte) Vater Johannes Wilhelm Peltzer, wohlbestallter und von Napoleon begeisterter Bürgermeister in Weisweiler, ordnungsgemäß zum Standesamt gegangen, um seinen neugeborenen Sohn auf den Vornamen Napoleon anzumelden. Da das linksrheinische Gebiet im Jahre 1802 französisch besetzt war, traf der Vater im Amt auf einen französischen Offizier. Dieser war es gewohnt, dass ein Kind in der Regel nicht nur einen Vornamen bekommt, in diesem Falle also nicht nur Napoleon. Deshalb seine Nachfrage: „Et encore, Monsieur le Maire?“ Darauf soll Johann Wilhelm erwidert haben: „Napoleon tout court“, was soviel heißt wie: ganz kurz, also nur Napoleon. Der Schreiber aber deutschte diese Aussage ein, indem er Tukur ins Register eintrug.
Was aber hat diese schöne Geschichte mit dem hier annoncierten deutschen Schauspieler zu tun? Und weshalb wird über diese Geschichte hier berichtet, wo es doch um die Familiensaga der Peltzers und Koenemanns geht? Vor allem aber: Um welchen Schauspieler geht es eigentlich? Für alle, die sich in der Schauspiel- und Filmszene auskennen, werden schnell auf Ulrich Tukur kommen.
Ulrich Tukur (* 1957), sehr bekannter Theater- und Filmschauspieler und als Gründer und Mitglied der Band „Die Rhythmus Boys“ begeisterter Musiker, heißt mit bürgerlichem Namen eigentlich Ulrich Gerhard Scheurlen. Der – wie er selbst wiederholt in Interviews angemerkt hat – schwierig auszusprechende Nachname lässt die Herkunft vermuten: seine Eltern stammen aus Baden-Württemberg. Und die Genealogie seiner Familie ist schon bemerkenswert, war doch sein Großvater Richard Napoleon Scheurlen im Ersten Weltkrieg nicht nur Kapitänleutnant und später ein nicht ganz unbedeutender Maler sowie sein Ur-Urgroßvater Karl Scheurlen immerhin Innenminister des Königreichs Württemberg.
Ulrich Tukur hat verschiedentlich erzählt, wie er zu seinem Künstlernamen gekommen ist. Danach hatte ihn der bekannte Regissseur Michael Verhoeven am Beginn der Karriere bei den Dreharbeiten zum Kinofilm „Die weiße Rose“ 1981 aufgefordert, sich einen leichter auszusprechenden und zu buchstabierenden Namen, also einen Künstlernamen zuzulegen. Ulrich Scheurlens Vater, in dieser Sache um Rat gebeten, erinnerte sich und seinen Sohn daran, dass einer ihrer Vorfahren durch einen französischen Beamten während der Besetzungszeit des Rheinlandes die Vornamen Napoleon Tukur zugeschrieben bekommen habe. Dieser Napoleon Tukur Peltzer wäre dann aus dem Rheinland in die estnische Stadt Narva ausgewandert, habe „dort eine Uniformtuchfabrik gegründet und die Zarenarmeen bis zur großen Revolution 1917 mit Uniformtuch versorgt“ (Auszug aus einem Interview in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 26. Nov. 2010).
Da Verhoeven aber die ursprüngliche Idee von Ulrich Scheurlen ablehnte, sich als Künstler den Vornamen Napoleon und den Nachnamen Tukur zulegen zu wollen, kam es schließlich zu dem Namenskompromiss, es beim angestammten Vornamen Ulrich zu belassen und Tukur als neuen Nachnamen zu wählen.
Neben dieser interessanten Geschichte zur Suche eines passenden Künstlernamens ist hier aber vor allem von Bedeutung, dass Ulrich Tukur sich dezidiert in der Genealogie seiner Familie auf den Vorfahren Napoleon Tukur Peltzer beruft, also genau jenen, der im Rahmen dieser Darstellung ausführlich vorgestellt worden ist. Ist er wirklich ein Nachkomme des bedeutenden Tuchfabrikanten Napoleon Peltzer? Genauere Informationen darüber sind aus seiner im Internet zu lesenden Vita aber nicht zu erhalten.
Die Suche zur Verifizierung dieser Aussage konnte also beginnen. Verbunden mit einiger Mühsal und ein wenig Glück, über manche Umwege auf die richtigen Seiten im Internet zu stoßen, waren die Recherchen am Ende sogar doppelt erfolgreich! Wieso doppelt? Nun, in den über Ulrich Tukur bei Wikipedia nachlesbaren Informationen ist dezidiert auch seine Verwandtschaft mit dem bekannten schwäbischen Schriftsteller Gustav Schwab (1792-1850) vermerkt. Mit den Sagen des klassischen Altertums schuf dieser aus Stuttgart stammende Pfarrer und Gymnasiallehrer einen beliebten Klassiker der deutschen Kinder- und Jugendliteratur.
Im nachstehenden Stammbaum kann nun aufgedeckt werden, was vielleicht selbst Ulrich Tukur nicht in allen Details bekannt ist, nämlich der exakte Nachweis seiner Verwandtschaft sowohl mit Napoleon Peltzer als auch mit Gustav Schwab[3]. Nach diesen Ergebnissen ist Ulrich Tukur der Nachkomme in der jeweils fünften Generation, d.h. er ist der Ur-Ur-Ur-Enkel der beiden bedeutenden Vorfahren. Und die weiter oben erwähnte Katharina Peltzer hatte als Tochter von Napoleon Peltzer durch ihre Ehe mit Johann Joseph Eduard von Möller diese direkte Verwandtschaft mit den Peltzers begründet.
Es würde jetzt möglicherweise zu weit führen, die genauen Verwandtschaftsgrade zwischen Edwin Koenemann sowohl zu Ulrich Tukur als auch zu Gustav Schwab zu bestimmen. Dennoch ist klar: sie sind tatsächlich alle miteinander und untereinander verwandt!
Aber damit ist diese interessante Geschichte noch lange nicht zu Ende. Im Titel dieses Beitrags war noch innerhalb der Familiensaga der Koenemanns eine prominente deutsche Schriftstellerfamilie angekündigt, die angeblich ebenfalls eine Verwandtschaft mit dem Familiengeflecht der Peltzers bzw. Koenemanns aufweisen soll.
Eine prominente deutsche Schriftstellerfamilie
Die Geschichte dieser Familie beginnt wiederum bei Napoleon (Tukur) Peltzer und dessen zehn Kindern, die er zusammen mit seiner Katharina, geb. Mollenhauer, in die Welt gesetzt hatte. Während für die Verwandtschaft von Ulrich Tukur Napoleon Peltzers Tochter Katharina hauptverantwortlich war, wird diese Rolle jetzt beim Nachweis für eine prominente deutsche Schriftstellerfamilie dem letztgeborenen Sohn von Napoleon Peltzer, nämlich Alexander (1850-1923) zufallen. Alexander Peltzer war in Narva, dem Betätigungsfeld des Vaters, geboren worden, hatte sich später aber in Moskau niedergelassen, wo er 1874 eine seiner Cousinen, nämlich Marie Katharina Peltzer (1850-1919), heiratete und die Tuchfabrik seines Schwiegervaters und Onkels Friedrich Peltzer übernahm.[4]
Aus dieser Ehe ging u.a. Otto Alexander Peltzer (1876-1959) hervor, der zeitlebens die in Russland übliche Koseform „Sascha“ für seinen Vornamen Alexander trug. Alexander (Sascha) Peltzer absolvierte zunächst in der Firma seines Vaters in Moskau eine Ausbildung zum Kaufmann und heiratete dort im Jahre 1901 die aus einer Bielefelder Leinenfabrikantenfamilie stammende Stella Kroenig (1880-1952). Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entschloss er sich dann aber, sowohl seine berufliche Laufbahn als auch seinen Wohnsitz in Moskau aufzugeben. Er zog mit der Familie nach München, ließ sich dort künstlerisch ausbilden und betätigte sich von da an bevorzugt als Landschaftsmaler. Seine wesentlichen Motive fand er im Chiemgau, also in der Region des Chiemsees, wo sich die Familie schließlich ab 1932 in einem kleinen Holzhaus in Chieming niederließ.
1917 war noch in München die Tochter Isabella geboren worden. Als die Familie in den 1930er Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, arbeitete diese als Sekretärin in einem Ministerium in Berlin. Dort lernte sie ihren Ehemann Burkhard Nadolny (1905-1968) kennen. Im Jahre 1941 heiratete sie den in St. Petersburg geborenen Sohn des (ehemals) hochrangigen Diplomaten Rudolf Nadolny (1873-1953).[5] Nach einem Jurastudium hatte sich Burkhard Nadolny überwiegend als freier Schriftsteller betätigt. Als solcher war er häufiger Gast der Gruppe 47, dem legendär gewordenen deutschsprachigen Schriftstellertreffen, zu dem seit 1947 regelmäßig Hans Werner Richter einlud. Allerdings waren Nadolnys Romane, Kurzgeschichten und Novellen, auch Hörspiele oder Biografien wenig erfolgreich.
Auf dem Sektor der Schriftstellerei lief ihm bald seine Frau Isabella Nadolny (1917-2004) den Rang ab. Sie schuf sich ab 1951 mit dem Schreiben von Romanen einen Namen. Bis zu ihrem Lebensende im Jahre 2004 wurden es insgesamt deren elf, darunter als größte Erfolge die beiden Familienromane „Ein Baum wächst übers Dach“ (1959) und „Vergangen wie ein Rauch“ (1964), in denen sie ihre Familiengeschichte, d.h. die der Familien Peltzer in Russland und Estland sowie ihre ganz persönliche in der bayrischen Heimat sehr einfühlsam und anschaulich beschreibt. Daneben aber erwarb sie sich einen ausgezeichneten Ruf und viel Anerkennung als Übersetzerin von Unterhaltungsliteratur aus dem Englischen und Amerikanischen. Als Bilanz konnte sie am Ende ihres Lebens auf etwa 140 Übersetzungen verweisen, darunter „Unvollendete Reise“ (1976) von Yehudi Menuhin, „Reise in ein altes Land“ (1976) von Henry Miller oder auch die berühmte „Love Story“ (1970) von Erich Segal.
Aber bei dem Setzen der Überschrift zu diesem Beitrag war von einer Schriftstellerfamilie, nicht von einem Ehepaar die Rede. Nun, der Volksmund behauptet, dass der Apfel meistens nicht weit vom Stamm fiele. Und das trifft hier in vollem Maße, d.h. auf den Sohn dieses Ehepaars zu, den Schriftsteller Sten Nadolny (* 1942).
Sten Nadolny hat nicht nur seinem Vater, sondern sogar auch seiner Mutter im Hinblick auf das angesammelte schriftstellerische Renommee den Rang abgelaufen. Verantwortlich dafür waren neben einigen Auszeichnungen, darunter dem begehrten Ingeborg-Bachmann-Preis (1980), fast ein Dutzend sehr gelungene Romane, vor allem sein zweiter Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ (1983), ein Bestseller, der längst in alle Weltsprachen übersetzt worden ist und es inzwischen auf eine Auflage von fast zwei Millionen gebracht hat. Nadolny beschreibt darin die Lebensgeschichte von Sir John Franklin (1786-1847), dem englischen Seefahrer und Polarforscher, dem die Aufgabe anvertraut wurde, die Nordwestpassage zu finden, um einen kürzeren Seeweg von Europa nach Asien zu ermöglichen. Bekanntlich scheiterte die Expedition. Die Erinnerung daran wurde durch die Entdeckung von zwei Schiffswracks in den Jahren 2014 und 2016 wieder lebendig.
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Sten Nadolny ist – das kann man in den von ihm verfügbaren Interviews ablesen – kein „Lautsprecher“ der deutschen Literaturszene. Im Deutschlandradio Kultur wurde er gar als „Eigenbrötler des deutschen Literaturbetriebs“ beschrieben (Sendung vom 24. Juli 2012). Trotz Geschichtsstudium, Promotion über ein geschichtliches Thema, zeitweise Tätigkeit als Studienrat mit dem Fach Geschichte mag es überraschen, dass er mir gegenüber, nachdem ich ihm von seiner Verwandtschaft mit dem Worpsweder Edwin Koenemann berichtet hatte, freimütig bekennt, ein eher „mäßiges Interesse an der Familiengeschichte“ zu besitzen, die vor allem die Domäne seiner Mutter gewesen sei (persönliche Mitteilung vom 11. Nov. 2014). Immerhin wolle er es aber nicht ausschließen, einmal nach Worpswede zu kommen, um sich u.a. die Käseglocke anzusehen.
Am Ende dieser abwechslungsreichen Geschichte bleibt auch hier der Nachweis durch den Stammbaum sowie der Hinweis, dass Sten Nadolny der Ur-Ur-Enkel von Napoleon Peltzer ist. Edwin Koenemann ist sein Großonkel.
Ein bedeutender Wissenschaftler
Und da ist noch eine weitere Geschichte zu erzählen, die Geschichte eines Wissenschaftlers. Dessen Genealogie hat mit den in den ersten Kapiteln vor allem in den Blick genommenen Peltzerfamilien eher am Rande zu tun. Die Peltzers spielen darin nur insoweit eine Rolle, als weibliche Nachkommen der Peltzers immer mal wieder männliche aus den Koenemannfamilien geheiratet haben. Napoleon Tukur Peltzer jedenfalls kann hier unberücksichtigt bleiben.
Damit die Geschichte einsichtig bleibt, soll sie ausnahmsweise vom Ende her aufgeblättert werden. Dort ist von einem russischen Ehepaar – dem Gymnasialdirektor Iwan Pawlowitsch Mendelejew und seiner Frau Maria Dmitrjewna Korniljewa – zu berichten. Ihre genauen Lebensdaten aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert sind ebenso unbekannt wie die genaue Anzahl der in ihrer Ehe gezeugten Kinderschar, die zwischen 14 und 17 schwankt. Verbürgt und abgesichert aber ist die genaue Vita des Nesthäkchens, nämlich von Dmitri Iwanowitsch Mendelejew. Er ist 1834 im sibirischen Tobolsk geboren und 1907 in St. Petersburg gestorben.
Dmitri Iwanowitsch Mendelejew ist einer der bedeutendsten russischen Chemiker. Nach einem Studium an der Petersburger Universität war er dort als Privatdozent und später über Jahrzehnte als Professor für allgemeine Chemie tätig. Die von ihm verfassten Lehrbücher und auch populärwissenschaftlichen Bücher über Themen aus der Chemie sind Legion. Sie wurden zum Teil auch in andere Sprachen übersetzt. Seine herausragende wissenschaftliche Leistung aber bestand darin, ein einheitliches Systematisierungsprinzip der chemischen Elemente zu entwickeln, das er schließlich in einem nach wie vor gültigen sogenannten „Periodischen System der Elemente (PSE)“ zusammenfasste und das zu den Grundlagen der Chemie gehört. Diese fundamentale wissenschaftliche Leistung hätte ihm 1906 fast den Nobelpreis für Chemie eingetragen. Eine einzige Stimme in dem Wahlgremium aber fehlte ihm.
Das jedoch hatte viele andere wissenschaftliche Gesellschaften weltweit nicht davon abgehalten, ihn mit Ehrungen und Auszeichnungen zu bedenken. Ausdruck seiner Bedeutung ist, dass u.a. ein Vulkan, ein unterseeischer Gebirgskamm, ein Asteroid, ein Gletscher in der Antarktis und sogar ein Mondkrater seinen Namen tragen. Eine ihm zugedachte Auszeichnung war auch, dass ihn der bedeutende russische Maler Ilja Repin (1844-1930) porträtierte. (Sie wissen darum, dass Repin 1895 im Münchner Glaspalast neben Fritz Mackensen eine der beiden dort vergebenen Goldmedaillen erhielt.) Und dieses Porträt befindet sich in der Moskauer Tretjakow-Galerie, neben der Eremitage in Sankt Petersburg die größte und berühmteste Kunstsammlung Russlands.
Dass hier darüber berichtet wird, hängt mit einer irgendwie gearteten Verwandtschaft mit den Koenemanns – und damit natürlich auch mit dem Worpsweder Edwin – zusammen. Zugegeben, der verwandtschaftliche Zusammenhang ist ein wenig weitläufiger als bei den anderen hier geschilderten Fällen. Und Edwin Koenemann wird – wie bei den übrigen – wahrscheinlich über diesen berühmten Verwandten erst recht nichts geahnt oder gar gewusst haben.
Aber die Verwandtschaft existiert. Denn eine der Schwestern aus der großen Geschwisterzahl des Chemikers Mendelejew, nämlich Maria Iwanowna heiratete in eine Popowfamilie ein. Und deren Enkelin Maria Afanasjewna Popowa wiederum ehelichte wahrscheinlich vor dem Ersten Weltkrieg Alexander Emiljewitsch Koenemann. Dieser wiederum war der Enkel von Eduard Koenemann (1801-1853), den wir bereits als Bruder von Friedrich, Albert und Viktor Alexander kennen (siehe Teil I dieser Vortragsreihe). Diese vier waren ja bekanntlich mit ihrem Vater Friedrich Wilhelm als erste im Jahre 1821 von Eupen nach Moskau ausgewandert, um dort und in der Umgebung im Laufe der Zeit Tuchfabriken zu übernehmen bzw. aufzubauen.
Literatur
– Nadolny, Isabella: Ein Baum wächst übers Dach. München 1959
– dies.: Vergangen wie ein Rauch. Geschichte einer Familie. München 1964; hier zitiert aus: Neuausgabe Berlin 2010
– Nadolny, Sten: Die Entdeckung der Langsamkeit. München 1983
Weitere Quellen
– Macco, H.F.: Geschichte und Genealogie der Familien Peltzer. Aachen 1901
– Neue Osnabrücker Zeitung: Interview mit Ulrich Tukur vom 26. Nov. 2010: Der neue „Tatort“-Kommissar Ulrich Tukur: Jenseits von Larifari
– https://de.wikipedia.org/wiki/UlrichTukur
– http://gw.geneanet.org/fsoloview
– Private Mitteilungen
Bildnachweise
– Siehe die Angaben bei den Abbildungen
Anmerkungen
[1] Baron Stieglitz behielt bis zu seinem Tode zwei Drittel der Aktienanteile, das restliche Drittel besaß bis zu diesem Zeitpunkt Napoleon Peltzer. Nach dem Tode des Barons gingen alle Anteile in den Besitz Peltzers über. Bis dahin leitete er die Narovskaja Manufaktura als Direktor.
[2] Erschienen sind u.a.: Die Spieluhr. Novellen (2016); Der Ursprung der Welt (2019); Die Seerose im Speisesaal. Venezianische Geschichten (2020).
[3] Einzelheiten dieser verwandtschaftlichen Verbindung werden hier außer Acht gelassen. Sie sind aber beim Verfasser abrufbar.
[4] Als Tochter von Friedrich (Fritz) Peltzer werden Marie Katharina gemäß der russischen Tradition auch manchmal die Vornamen Marie Fjodorowna zugeschrieben (z.B. bei Isabella Nadolny 2010).
[5] Rudolf Nadolny war über Jahrzehnte im Auswärtigen Dienst tätig, u.a. als Gesandter in Stockholm, als Botschafter in der Türkei und kurzzeitig in Moskau. Als Referent im Auswärtigen Amt war er in der Schweiz an den Verhandlungen mit den russischen Bolschewiken beteiligt, die im Ergebnis dazu führten, dass Lenin und seine Genossen im April 1917 in einem verplombten Zug durch Deutschland geschleust werden konnten. Nadolny war auch Mitglied der Verhandlungsdelegation bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. 1932/33 leitete er die deutsche Delegation auf der Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes. 1934 quittierte er seinen Dienst aus Protest gegen Hitler, wurde Bauer in der Uckermark und übernahm ein Obstgut nahe Berlins.