Die Koenemanns: Teil I einer Forschungsreihe

– Edwin Koenemann, Erbauer der Käseglocke, und seine Familie –

Vorbemerkung

In Worpswede kennt man ihn: Edwin Koenemann (1883-1960). Den Sonderling, Außenseiter, Einzelgänger, seine Eigenarten und Marotten, den – wie er sich bezeichnete – ersten Gästeführer und Moorläufer, auch Schriftsteller. Den man mit Hohn und Spott bedachte und der deshalb versuchte, sich nach Kräften zu wehren. Und, wer hätte sie nicht schon und gern besucht: die im Jahre 1926 von ihm erbaute „Käseglocke“, jenes eigenartige Rundhaus im Wald am Rande der Marcusheide. Seit der Renovierung durch die „Freunde Worpswedes“, die im Jahre 2001 mit viel Aufwand und persönlichem Einsatz abgeschlossen werden konnte, bildet das Haus als Museum einen Anziehungspunkt im Künstlerort. Attraktives Kunsthandwerk und interessantes Mobiliar sind darin zu sehen, außerhalb auf dem Gelände expressionistisch gestaltetes Mauerwerk. Die Atmosphäre der Wärme und Geborgenheit, die dem Gebäude innewohnt, sowie den Zauber seiner Umgebung sollte man am besten unmittelbar erlebt haben. Und – ich gestehe es – wie gern hätte ich diesen Vortrag im Ambiente der Käseglocke gehalten. Aber allein die räumliche Ausstattung hätte es nicht zugelassen.

Die Käseglocke in Worpswede, Mai 2001; Archiv Peter Elze

Interessierte konnten und können viel Wissenswertes über den Bau der Käseglocke, seine Geschichte, auch über den Bau- und Hausherren aus zwei reich bebilderten Büchern erfahren, die zum Thema geschrieben worden sind. Beide tragen den gleichen Buchtitel: „Die Käseglocke in Worpswede“. Das erste (2001), leider längst vergriffen, stammt von mir, das zweite (2013), noch verfügbar, von Peter Groth.

Aber trotz dieser Veröffentlichungen sind letztlich die Kenntnisse, vor allem über Edwin Koenemanns Familie und die breitgefächerte Verwandtschaft, also seinen familiären Hintergrund, marginal geblieben. Ich habe deshalb die vergangenen zwei Jahre genutzt, um umfangreiche  Recherchen im Internet zu betreiben. Vor allem aber habe ich zahlreiche, auch internationale Kontakte gesucht und gefunden, darunter besonders solche, die nach Belgien und Russland führten. Von herausgehobenem Wert und Erfolg war mein einwöchiger Aufenthalt im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt.

Im Darmstädter Archiv lagern unter der Signatur O 59 Rossmann etwa 3,5 Meter Akten über die Koenemanns. Weshalb Rossmann, und weshalb Darmstadt? Nein, der Drogeriemarkt hat nichts damit zu tun! Es ist nur Namensgleichheit. Zur Aufklärung: Emma Koenemann (1873-1938), die zehn Jahre ältere Schwester vom Worpsweder Edwin war mit dem Lehrer (für Englisch und Französisch) Dr. Philipp Rossmann (1858-1944) verheiratet. Deren Sohn, Dr. Alexander Rossmann (1897-1991), Journalist und Übersetzer, hatte verfügt, dass sein literarischer Nachlass an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach/Neckar, und der umfängliche Bestand an familiengeschichtlichen Materialien, vor allem über die mütterlichen Vorfahren der Familien Koenemann, ins Hessische Staatsarchiv in Darmstadt gelangen sollte. (Die Nachkommen aus der Familie Rossmann sind in Seeheim bei Darmstadt und in Wiesbaden ansässig.)

Edwin Koenemann, porträtiert von Georg Tappert, 1906;
 Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schleswig[2]

Aus meiner umfangreichen Material- und Kenntnissammlung habe ich in den vergangenen Monaten vier Vortragsmanuskripte zusammengestellt. In ihnen werden Szenen aus der unglaublich interessanten Familiensaga der Koenemanns ausgebreitet. Die Inhalte reichen weit in die deutsche und russische Geschichte hinein. Es kommen darin Fabrikanten vor, sogar Magnaten aus dem Wirtschaftsleben, die großen Reichtum erwarben, auch bedeutende Menschen aus der Wissenschaft, in diesem Falle der Chemie mit einem Fast-Nobelpreisträger. Auch weithin bekannte Menschen aus der Kultur werden uns begegnen, hier besonders aus der Schauspielerei sowie der Musik und Literatur. Einige werden Sie kennen und gar nicht wissen oder vermuten, dass sie mit Koenemann verwandt sind. Ob er selbst davon wusste, welche Facetten sein familiärer Hintergrund aufwies? Nach partieller Einsicht in seine Tagebuchaufzeichnungen[1] weiß ich, dass er zumindest Teilkenntnisse hatte. Seien Sie nun neugierig auf meine Erkenntnisse und Ergebnisse. Lassen Sie sich überraschen!

Edwin Koenemann: Einblicke in seine persönliche Familiengeschichte

Die erste Geschichte aus Edwin Koenemanns Familiengeschichte, die hier erzählt werden soll, beginnt in Eupen. Die Stadt liegt im Dreiländereck in der Nähe von Aachen und gehört heute zu Belgien. Eupens Geschichte ist von verschiedenen Herrscherhäusern geprägt: Habsburger, Niederländer, Spanier, Franzosen, Preußen wechselten sich über die Jahrhunderte dort ab. Wirtschaftlich profitierte Eupen wesentlich von der Tuchindustrie, die vor allem zwischen dem 17. und der Mitte des 19. Jahrhunderts dort angesiedelt war. Kennzeichen dieser Industrie und der früheren Prosperität sind die im Stadtbild noch zahlreich vorhandenen und unter Denkmalschutz stehenden repräsentativen Wohngebäude der Tuchmacher.

Friedrich Wilhelm Koenemann (1769-1840), der Urgroßvater von Edwin

Haus Grand Ry, eines der Tuchmachergebäude in Eupen; heute Sitz der Regierung der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens; CC BY-SA 3.0

Einer, der sich in diesem Bereich betätigt hatte, war Friedrich Wilhelm Koenemann, der Urgroßvater von Edwin Koenemann. Friedrich Wilhelm war zwar 1769 in Mülheim bei Köln (heute Stadtteil von Köln) geboren. Im Jahre 1795 hatte er Adelheid Gertrud Peltzer, Tochter eines wohlhabenden Kupfer- und Messingfabrikanten aus Stolberg bei Aachen geheiratet. Ab 1802 wohnte die Familie, zu der inzwischen schon vier Kinder gehörten, in Eupen. Dort kamen noch weitere sieben Kinder hinzu.

Das linksrheinische Gebiet war seit 1794 im Zuge der Napoleonischen Kriege durch französische Truppen annektiert worden. Zwischen 1798 und 1814 gehörte z.B. Eupen zum Département de la Roer (benannt nach dem Fluss Rur – ohne h geschrieben, der sog. Eifel-Rur, einem rechten Nebenfluss der Maas) mit der Hauptstadt Aachen. Die Bevölkerung, die bis dahin in kleinen Territorien gelebt hatte, wurde nun Teil eines größeren Wirtschaftsraumes ohne Zollschranken und mit der Folge, dass die Wirtschaft vergleichsweise aufblühte.

Allerdings mussten die Männer in der französischen Armee dienen, d.h. auch an den französischen Eroberungskriegen, z.B. dem verlustreichen Russlandfeldzug 1812 (in Russland heißt er: Vaterländischer Krieg), teilnehmen. Mit der Niederlage der französischen Truppen in Russland[3] und der Übernahme Eupens durch Preußen im Jahre 1815 wendete sich die wirtschaftliche Lage entscheidend. Mit dem Zusammenbruch des französischen Absatzmarktes kam es auch zu einschneidenden Veränderungen für die ansässige Tuchfabrikation. So wird z.B. im Jahre 1821 von einem Weberaufstand berichtet, der sich gegen die ausgebrochene wirtschaftliche Misere richtete. Zunehmende Armut in der Bevölkerung war die Folge.

Diese veränderte Lage hatte auch für Friedrich Wilhelm Koenemann und seine Familie ganz persönliche Konsequenzen. 1821, im Jahr des erwähnten Weberaufstandes, verließ er Eupen, um sich im fernen Moskau eine neue berufliche Existenz aufzubauen. Weshalb Russland, weshalb Moskau? Grundlage dafür waren Berichte über die dort vorhandene bessere wirtschaftliche Perspektive auch und vor allem auf dem Gebiet der Tuchindustrie. Und Friedrich Wilhelm war bei weitem nicht der einzige, der in dieser Zeit im russischen Zarenreich für sich und seine Familie eine gute Zukunft gesehen hat. Die Erwartungen waren hoch, denn schließlich verfügte er ja aus seiner bisherigen Tätigkeit in der Tuchfabrikation über das entsprechende Wissen und auch hinreichende praktische Erfahrungen.

Begleitet wurde Friedrich Wilhelm nachweislich von mindestens vier seiner Söhne, nämlich von dem ältesten, Friedrich (* 1796), sowie von Eduard (* 1801), Albert (* 1803) und Victor Alexander (* 1805). Albert war übrigens der Großvater des Worpsweder Edwin. Gemeinsam gelang es ihnen, das Vorhaben, sich auf dem Sektor der Tuchindustrie zu orientieren bzw. sich darin erfolgreich zu etablieren, in erstaunlich kurzer Zeit. Nach ihrer Übersiedlung betätigten sie sich zunächst als Angestellte in vorhandenen Textilfabriken in Moskau bzw. in der Umgebung. Es gelang ihnen, diese Fabriken durch ihr Wissen und ihre Beziehungen auf einen gehobenen technischen Standard zu bringen. Bald übernahmen sie dann auch selbst marode Fabriken, erwarben Landbesitz und erstanden bzw. erbauten für sich und ihre Familien recht ansehnliche Villen als Sommer- bzw. Wintersitze.

Den Gipfel an Anerkennung erreichte der älteste Sohn Friedrich, der sich zunächst in Kaschira südlich von Moskau niedergelassen hatte und dort aufgrund einer uneigennützigen Rettungsaktion – er rettete im Jahre 1828 Menschen vor dem Ertrinken im Flusse Oka – sogar in den persönlichen Adelsstand erhoben wurde. Auch Albert erhielt eine besondere Auszeichnung, indem seine Verdienste um den wirtschaftlichen Aufschwung im Jahre 1832 vom Zaren mit der erblichen russischen Ehrenbürgerschaft bedacht wurden.

Albert Koenemann (1803-1887), der Großvater von Edwin

Albert, der zu Weihnachten 1827 in Moskau seine Cousine Johanna Katharina Adelheid Peltzer (* 1806) geheiratet hatte (also wiederum wie sein Vater eine Tochter aus einer der Peltzerfamilien!), ließ sich in Lefortowo am östlichen Stadtrand von Moskau nieder, im sogenannten deutschen Viertel (nemeckaja sloboda). Eduard baute sich eine Existenz in Sobolewo auf, Victor Alexander in Kablukowo, Friedrich, wie bereits mitgeteilt wurde, in Kaschira, alles Orte in der Moskauer Region.

Im Folgenden soll der Focus besonders auf dem Vater, nämlich Friedrich Wilhelm sowie auf Albert, dem drittältesten Sohn liegen, weil dieser als (späterer) Großvater des Worpsweder Edwin noch für diese Geschichte von Belang sein wird. Eduard und Victor Alexander werden später bei der Darstellung von weiteren Szenen aus der Familiensaga eine Rolle spielen. Das Leben der anderen Brüder und Schwestern aus der Eupener Familie aber muss hier ausgeblendet werden, da über sie vergleichsweise wenige Kenntnisse vorliegen.

Friedrich Wilhelm war offenbar seinem Sohn Albert und dessen Familie in Lefortowo im deutschen Viertel Moskaus besonders zugetan, so dass er und seine Frau bei ihnen wohnten. Mag sein, dass er sich dort, wo es eine deutsche Welt im Kleinen mit Hochdeutsch als Umgangssprache, mit einer deutschen Kirche, mit deutschen Geschäften, Restaurants, auch deutschem Theater und deutscher Schule, ja sogar einer deutschsprachigen Tageszeitung gab (vgl. Dahlmann 1994), wohler, heimischer fühlte als in der Moskauer Umgebung, wo sich die anderen Söhne niedergelassen hatten.

Gedenk- bzw. Grabstein von Friedrich Wilhelm Koenemann (1769-1840), dem Urgroßvater von Edwin Koenemann, Worpswede; Archiv Georg Kremer, Eupen

Im Jahre 1840 ist Friedrich Wilhelm jedoch 71jährig in Eupen gestorben, wohin er wohl auf Zeit oder auf Besuch zurückgekehrt war. Dass er auf seinen Wunsch hin auch dort beigesetzt worden ist, war lange in Vergessenheit geraten. Erst ein Zufall deckte diesen Sachverhalt auf, der in einer in russisch geschriebenen Genealogie (siehe http://www.keneman.com) als „Fund des Jahrhunderts“ bezeichnet wird. Im Jahre 2004 entdeckte nämlich ein Anwohner in Eupen in einem verlassenen Steinbruch kurze Zeit bevor in diesem eine große Menge von Hausschutt entsorgt wurde, einen imposanten Stein. Mit einem Kran ließ er ihn bergen. Es stellte sich heraus, dass dieser Stein wohl von einem Friedhof stammte und – wie das in der Regel leider geschieht – nach Ablauf der Liegezeit und Ausbleiben der Gebührenzahlung der Entsorgung anheimgegeben worden war. Der Name und die Lebensdaten auf dem Stein verwiesen auf Friedrich Wilhelm Koenemann, die darauf enthaltene Widmung auf seine Ehefrau. Sie verbrachte übrigens in Moskau ihren Lebensabend und ist dort 74jährig im Jahre 1846 verstorben. Der besagte Stein steht jetzt als Gedenkstein in der Aachener Straße im Eupener Ortsteil Kettenis und erinnert an einen seiner früheren Bürger, der im zaristischen Russland zu Ansehen und Wohlstand gekommen war.

Nach dem Tode des Vaters oblag es seinem Sohne Albert, das in Lefortowo aufgebaute Unternehmen, die Tuchfabrik, eigenverantwortlich weiterzuführen. Aus seiner 1827 geschlossenen Ehe waren vier in Moskau geborene Kinder hervorgegangen, und zwar Waldemar (* 1833),  Alexander (* 1834), Marie Mathilde (* 1838) und (sage und schreibe) Julius Caesar (* 1840), der 43 Jahre später übrigens (zusammen mit seiner Frau) zum Taufpaten bei Edwin wird. Es ist anzunehmen, dass alle eben erwähnten Kinder in der Kathedrale St. Peter und Paul, der evangelisch-lutherischen Hauptkirche mit deutscher Tradition in Moskau getauft und konfirmiert worden sind.[4]

Ein Bild, das Text, draußen, Gebäude, alt enthält.

Automatisch generierte Beschreibung
Kathedrale St. Peter und Paul in Moskau; Postkarte, um 1910; gemeinfrei

Alexander Koenemann (1834-1915), der Vater von Edwin

Im Folgenden will ich mich Alexander zuwenden, dem 1834 in Moskau zweitgeborenen Sohn von Albert und Johanna. Weshalb? Nun, Alexander wird der Vater des Worpsweder Sprösslings Edwin werden. Bis es aber soweit kommen konnte, muss hier von einer ganzen Reihe von Ereignissen berichtet werden. Die Aufdeckung dieser Ereignisse wurde durch die eingangs erwähnten Bestände der Akte O 59 Rossmann im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt möglich. Darin befinden sich u.a. die Tauf- und Konfirmationsurkunden von Alexander in der erwähnten Kirche St. Peter und Paul in Moskau.

Mindestens so wichtig sind in der erwähnten Archivalie aber andere Bestände, vor allem die Heiratsurkunde von Alexander, sogar die Unterlagen zum Hochzeitsmenü. Die Akte eröffnet Sachverhalte, die in vielen Einzelheiten bislang unbekannt waren, ja sogar zu falschen Darstellungen führten (wozu ich mich leider auch bekennen muss).

Aus der erwähnten Heiratsurkunde geht hervor, dass Alexander im Jahre 1863 die Tochter des Königlichen Forstmeisters Gerhard Joseph Ritgen, nämlich Jertha Catharina Ritgen (* 1836) heiratete.

Das junge Ehepaar Alexander und Jertha Koenemann; HstAD, O 59 Rossmann, 79/2

Anders, als zu vermuten gewesen wäre, fand diese Hochzeit aber weder in Moskau noch in der Heimat der Braut auf Hof Ginsberg bei Hilchenbach (Kreis Siegen) statt, sondern in Koblenz-Pfaffendorf. Dem freudigen Ereignis vorausgegangen waren nämlich zwei schwerwiegende Entscheidungen, die das weitere Leben der Familie auf Dauer verändern sollten.

Zum einen hatte Alexander zusammen mit seinen Eltern nämlich Moskau verlassen; zum anderen hatte er als neuen Wohnsitz für das junge Ehepaar und seine Eltern den Mühlenbacher Hof in Arenberg nahe Koblenz erworben, ein großes Landgut mit 65 ha Ländereien. Das Gelände wurde beherrscht von einem mächtigen Turm, Gebäuderest einer mittelalterlichen Wasserburg aus dem 13. Jahrhundert. Dass die Wahl auf diesen Hof und Ort fiel, könnte auf Empfehlung oder Betreiben der Schwiegereltern geschehen sein, die sich dort gut auskannten, weil sie in Ehrenbreitstein (Koblenz) wohnten.

Der Mühlenbacher Hof in Arenberg bei Koblenz; Archiv Konrad Weber, Arenberg

Was die Familie aber grundsätzlich zu diesen gravierenden Veränderungen in Bezug auf den Wohnsitz, also Moskau zu verlassen, bewogen haben mag und – bezogen auf Alexander, der fortan als Landwirt firmierte – einer vollkommen anderen beruflichen Betätigung nachzugehen, muss spekulativ bleiben. Bei den Eltern Albert und Johanna könnte ihr fortgeschrittenes Alter, vielleicht auch das Klima in Russland den Entschluss gefördert haben. Bei Alexander könnten die durch den russischen Zaren Alexander II. eingeleiteten Maßnahmen, darunter der Abbau von Steuerprivilegien für die Wohlhabenden, ferner, alle jungen Männer zum Militärdienst heranzuziehen und russisch generell als Amts- und Schulsprache festzulegen, den Ausschlag gegeben haben.

Mit den neuen Besitzern zog recht bald viel Leben in den Mühlenbacher Hof ein. Am Anfang stand jedoch ein herber Schicksalsschlag: Der erstgeborene (und nach seinem Großvater benannte) Sohn Albert (* 1864) lebte nur 22 Tage. Wie sehr dieser Nachwuchs von den Eltern herbeigesehnt worden war, lässt sich daran erkennen, dass dem Neugeborenen sofort ein Grundstücksteil des Mühlenbacher Hofes überschrieben wurde. Im Jahr darauf wurde Edwin (* 1865) geboren. Aber dieser Edwin ist nicht etwa der Worpsweder Edwin, denn dessen Geburtsjahr ist ja 1883. Nun, hier kommt etwas zum Tragen, was früher häufiger zu beobachten ist: Der 1865 geborene Edwin wurde nur neun Jahre alt, und sein 18 Jahre später letztgeborener Bruder bekam den bereits einmal vergebenen Vornamen erneut – eine Form des Andenkens an den Verstorbenen.

Im Mühlenbacher Hof wurden noch weitere zwei Kinder geboren, denen glücklicherweise ein längeres Leben beschieden war, Frieda 1866 und Max 1867. Jedes Jahr ein Kind. Was mussten die jungen Frauen damals aushalten?!

Was die Familie von Alexander und Jertha Koenemann zusammen mit den Eltern bzw. Schwiegereltern bewogen haben mag, die Idylle des Mühlenbacher Hofes bereits nach fünf Jahren 1868 wieder zu verlassen, um nach Bonn zu ziehen, ist unbekannt. Lag es daran, dass man in der Gemeinde Arenberg, wozu das Anwesen gehörte, mit seiner Tradition als Wallfahrtsort eigentlich katholisch zu sein hatte und deshalb als Mitglied der evangelisch-lutherischen Gemeinde Außenseiter war?[5] Oder fehlte für die Kinder das gut erreichbare schulische Angebot? Oder waren es gar die mangelnden kulturellen Anreize, die den Ausschlag gaben?

Auf jeden Fall übersiedelte die Familie nach Bonn. Im Adressbuch sind dort – erstmals im Jahre 1870 vermerkt – im Laufe der Jahre drei verschiedene Wohnanschriften auszumachen (ab 1870: Meckenheimer Straße 73; ab 1872: Meckenheimer Straße 96; schließlich ab 1873: Weberstraße 96), immer recht ansehnliche Häuser, d.h. eine gewisse Umtriebigkeit war den Koenemanns zweifellos zu eigen. Zudem vergrößerte sich in Bonn die Familie. In zweijährigen Abständen kamen Carl (* 1869), Hermann (* 1871)[6] und Emma (* 1873) zur Welt.

Den Reigen der Kinderschar schloss dann – mit gehörigem 10jährigen Abstand – Edwin (* 1883), also der Worpsweder Edwin, ab. Der Vater Alexander befand sich zu dieser Zeit bereits im 49., die Mutter Jertha immerhin schon im 47. Lebensjahr. Zuweilen bezeichnet man Geburten in diesem vorangeschrittenen Lebensalter der Mutter bösartig als „Unfall“ bzw. freundlicher als ungeplant. Immerhin war das älteste der noch lebenden Kinder der Koenemanns zu diesem Zeitpunkt bereits 17 Jahre alt.

Die Koenemann-Kinder; HstAD, O 59 Rossmann, 79/2

Aber Edwin war kaum ein Jahr alt, als sich die Familie im Jahre 1884 schon wieder mit Umzugsplänen beschäftigte. Diesmal wurde als neuer und jetzt endgültiger Wohnsitz Wiesbaden, die schöne Kurstadt am Rande des Taunus und des Rheintales ausgesucht. Da Alexanders Mutter bzw. die Großmutter der Kinder noch in Bonn verstorben war, machte sich nur noch der Vater bzw. Großvater Albert mit auf den Weg in die neue Wohnheimat. Er wird sich dort wahrscheinlich recht wohlgefühlt haben, gab es doch in Wiesbaden eine ansehnlich große deutsch-russische Gemeinde, darunter Nachkommen aus einem Zweig der im Bremer Raum sehr bekannten Familie Knoop, die im Baumwollgeschäft sowohl in England als auch in Russland zu erheblichem Wohlstand gekommen war.

Auf jeden Fall holte Alexander jetzt in Wiesbaden etwas nach, was ihm wichtig war: Er beantragte die preußische Staatsbürgerschaft. Als Zuwanderer deutscher Abstammung, versehen mit einer sogenannten Naturalisationsurkunde, galt die Familie fortan als naturalisierte Russen. Und darüber hinaus bat er offiziell per Antrag um Aufnahme als Wiesbadener Bürger.

Dem Wiesbadener Adressbuch sind verschiedene Anschriften zu entnehmen, nach zwei Mietadressen (Dotzheimer Straße 7 und Adelhaidstraße 58) ab 1891 eine komfortable Villa, die (nach der Ehefrau und Mutter benannte) Villa Jertha[7], als Eigentum in einem bevorzugten Wohnviertel (Viktoriastraße 23 bzw. umnumeriert als Viktoriastraße 25). Die Familie verfügte – so weisen es Unterlagen im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt aus – aufgrund vielfältiger Wertpapieranlagen und eines ansehnlichen Bargeldbestandes über das notwendige Vermögen.

Villa Jertha in Wiesbaden, Viktoriastraße 23 bzw. 25; HstAD, O 59 Rossmann, 80/1

Aber Schicksalsschläge blieben nicht aus: Der Vater bzw. Großvater Albert starb im Jahre 1887 betagt im 85. Lebensjahr. Er wurde zusammen mit seiner noch in Bonn verstorbenen Ehefrau in der Familiengruft in Antwerpen beigesetzt. Albert und Johanna waren in ihrem Leben häufiger in dieser Stadt, wohnte dort doch die Tochter Marie Mathilde mit ihrem Ehemann, dem Konsul Victor Lynen. Dieser war ein angesehener Großkaufmann, u.a. Organisationschef der Weltausstellung in Antwerpen im Jahre 1885. Ausdruck des Wohlstandes einerseits und Nähe zum Vater bzw. Schwiegervater Albert andererseits waren, dass die Lynens ihre 1887 bis 1889 erbaute Gründerzeitvilla am Zweitwohnsitz in Baden-Baden „Villa Albertowna“ nannten.

Villa Albertowna in Baden-Baden, Friesenbergstr. 1; HstAD, O 59 Rossmann, 80/1

Zurück zu den Schicksalsschlägen: Auch Alexanders Ehefrau und Mutter der sechs noch lebenden Kinder verstarb 66jährig im Jahre 1902. Nach Ablauf des Trauerjahres heiratete Alexander 1903 die im Jahre 1852 geborene, also um 18 Jahre jüngere Ottilie Drinhaus (1852-1918). Sie hatten sich bereits in Bonn kennengelernt, wo die Familie Drinhaus seit Jahren wohnte und wo auch die Hochzeit stattfand.

Alexander und Ottilie Koenemann; HstAD, O 59 Rossmann, 79/3

Abschließende Notizen zu Edwin Koenemann

Für das „Nesthäkchen“ Edwin war die gesamte familiäre Situation offenbar von Anfang an äußerst problembehaftet. Bei seiner Geburt waren, wie erwähnt, seine Eltern bereits in einem fortgeschrittenen Lebensalter, die Geschwister allesamt im Schulalter bzw. darüber hinaus. Der Jüngste wurde anfangs, wie das nicht unüblich ist, sehr verwöhnt, was ihm aber offensichtlich – wie er später in einem 1938 verfassten Lebenslauf selbstkritisch eingestand – überhaupt nicht bekam. Erziehungskonflikte, besonders mit dem Vater, waren die Folge. Der Ausweg für die überforderten Eltern bestand darin, Edwin nach Beendigung der Grundschule in Wiesbaden in eine Pflegefamilie nach Göttingen zu geben. Diese Entscheidung führte aber – wie Edwin wiederum in seinem Lebenslauf bekundet – dazu, ihn vom Elternhaus zu entfremden. In Göttingen besuchte er die Oberrealschule. Trotz zweimaligem Sitzenbleibens schaffte er jedoch das Abitur. Das Reifezeugnis der Oberrealschule gestattete ihm aber – das war die Besonderheit dieser Schulform – nur ein Studium naturwissenschaftlich-technischer Fächer. Da Edwin aber seine Stärken im Deutschen sah, war das am Technikum Ilmenau/Thüringen aufgenommene Ingenieursstudium von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Der Misserfolg, d.h. der Abbruch des Studiums, erfolgte auch prompt.

Der Vater veranlasste ihn ab 1901, wie Edwin das im Lebenslauf nennt, „gewaltsam“ zu einer Kaufmannslehre in Bremen. Ob für die Ortswahl private Kontakte der Koenemanns zu den Knoops in Wiesbaden ausschlaggebend waren, ließ sich nicht mit letzter Sicherheit klären. Edwins Eingeständnis: „Schade um die 3 kommenden Zwangs-Jahre im Ex- und Import“ (Lebenslauf, 1938), obwohl er – wie er stolz bekennt – diese Lehrlingszeit immerhin mit äußerster Willenskraft durchstand. Selbst ein längerer Aufenthalt bei seinem um 16 Jahre älteren Bruder Max, der sich als erfolgreicher Kaufmann in Chicago betätigte, brachte in das unstete, wenig zielgerichtete Leben Edwins keinen Halt. Immerhin scheint es ihm aber dort gelungen zu sein, sich in der Zeitung „Tribune“ mit Beiträgen unter der Überschrift „Steps in German Tundra“ journalistisch zu betätigen (vgl. Kreisblatt vom 17. April 1933 aus Anlass seines 50. Geburtstages am 20. April).

Zurückgekehrt aus Amerika dilettierte er auf verschiedenen Gebieten: erfolglos im kaufmännischen Bereich, perspektivlos als Gehilfe eines Kraftwagenkutschers, mit ein paar Erfolgen als Radrennfahrer auf der Straße und der Bahn hinter einem Schrittmacher.

Edwin als Radamateur mit Blessuren; Archiv Peter Elze

Recht bescheidene Resultate zeitigten seine weiteren journalistischen Versuche, obwohl er an verschiedenen Stellen im Zusammenhang seiner Vita mit Stolz auf gewisse Erfolge und große literarische Vorhaben verweist. Am Ende weist sein schriftlicher Nachlass weitgehend Unveröffentlichtes aus, so der geplante Roman „Gut Valdanshof“ oder die beabsichtigte autobiografische Chronik Worpswedes, eine Chronique scandaleuse über „Die Leute vom Weyerberg“ unter Rückgriff auf sein zwischen 1911 und 1959 akribisch geführtes Tagebuch.

Seine Probleme wurden erheblich gesteigert durch die – wie er es bezeichnet – Härte des Vaters, andere würden es Konsequenz nennen, ihn finanziell an die kurze Leine zu nehmen, d.h. testamentarisch festzulegen, ihm mindestens bis zum 30. Lebensjahr aus dem Erbe nur die monatlichen Zinsbeträge (bis zu 4000 Mark im Jahr) zuzugestehen, es sei denn, die eingesetzten Vormünder – ein Wiesbadener Notar und der in Berlin lebende Bruder Carl – würden übereinstimmend zu der Auffassung gelangen, ihm aufgrund seines Verhaltens vorher das Erbteil anvertrauen zu können.

Die innerfamiliären Auseinandersetzungen eskalierten durch seine bereits über Jahre währende Verbindung zu einer jungen Frau aus Bremen namens Frieda Rogge, gleichaltrig, aber aus Sicht der Familie mit dem Makel versehen, aus ärmlichen Bremer Verhältnissen zu stammen, also nicht standesgemäß zu sein. Zudem hatte sie aus einem anderen Liebesverhältnis, das sie während Edwins Abwesenheit in den USA eingegangen war, bereits eine kleine Tochter. Als sie von Edwin schwanger wurde, führte das zwar im Jahre 1909 zur – wie er es im Lebenslauf nicht widerspruchsfrei ausdrückt – „Liebes-Heirat, diktiert vom Anstand“, aber nicht zur Besserung des innerfamiliären Klimas.

Zu dieser Zeit wohnte das junge Ehepaar bereits in Worpswede, was dem gesundheitlich labilen Edwin von einem Arzt aus klimatischen Rücksichten nahegelegt worden war. Hier begann nun eine recht abwechslungsreiche, besser: turbulente Lebensphase, deren Einzelheiten recht breitangelegt in den o.a. Büchern beschrieben worden sind.

Familienfoto, um 1915; Archiv Peter Elze

Teilaspekte aus dem von Edwin Koenemann in Worpswede erhaltenen Bild sind, im Folgenden sehr komprimiert dargestellt:

– der Bohèmien als Mitglied des Worpsweder Künstlerlebens, der anfangs – noch mit hinreichend Geld ausgestattet – aus nachvollziehbaren Gründen vor allem bei den Künstlern nicht gerade unbeliebt war,

– der literarisch manche Versuche unternahm, die aber zumeist (wie bereits erwähnt) im Planungsstadium verharrten oder zum Teil lediglich als Typoskript überdauerten,

– der den Absturz vom finanziell abgesicherten Sohn aus gutem Hause zum Sozialfall zu verkraften hatte,

– der wegen einer Schießattacke auf einen vermeintlichen Nebenbuhler (den Maler Udo Peters) und vor allem wegen psychischer Probleme mehrmals kurzzeitig in psychiatrischen Kliniken war,

– der sich selbst öffentlich (kokettierend bzw. entschuldigend?) der Kleptomanie bezichtigte oder von anderen deren verdächtigt wurde,

– dessen erste Ehe scheiterte und die nach langem Hin und Her schließlich mit einem Scheidungsurteil endete,

Grete Barleben 1926; Archiv Peter Elze

– der 1926 zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin und späteren zweiten Ehefrau Grete, geb. Barleben (1887-1937), einer ehemaligen Telefon-Assistentin, auf dem Waldgrundstück zwischen Großer Kunstschau und Barkenhoff nach geheimgehaltenen Plänen des bekannten Architekten Bruno Taut das Rundhaus, die sogenannte Käseglocke, erstellen ließ,

– der sich als Gästeführer bzw. als „Moorläufer“ mühsam ein Zubrot verdiente,

– der sich nach dem Tode des Vaters († 1915) und der Stiefmutter († 1918) vollends mit seinen Geschwistern überwarf,

– der in Worpswede mit Hohn und Spott bedacht und zum Außenseiter wurde,

– der sich mit Drohungen, eine Chronique scandaleuse über Worpswede zu schreiben, zur Wehr setzte,

– der mit seiner dritten Frau Editha, geb. Voss (1898-1993), einer Hamburger Lehrerin,  seinen Lebensabend in der Käseglocke verbrachte,

– der schließlich nach seinem Tode am 25. Mai 1960 auf dem Worpsweder Friedhof seine letzte Ruhe fand.

Edwin und Editha Koenemann 1954; Archiv Peter Elze

Als Fazit meiner Beschäftigung mit Edwin Koenemann bekräftige ich im Wesentlichen die  Aussagen aus meinem Buch (2001, S. 88). Ich schrieb damals: „Edwin Koenemann war … bei aller Skurrilität und (möglicher) pathologischen Symptomatik auch zugleich eine unbequeme, wenig kompromißbereite Persönlichkeit, die sich immer wieder in Prozesse verlor und Eigenschaften eines Michael Kohlhaas besaß. Koenemann war ein Mensch, der im Widerspruch mit sich und der Umgebung lebte, der sich öffnete und verbarg, der sich sentimental gab und doch auch berechnend-kalt war, der heiter, fröhlich, zugewandt und äußerst verschlossen war, der immer wieder selbst provozierte und doch sehr verletzlich war, der sich ständig bemitleidete und doch eine merkwürdige Distanz zu sich selbst wahrte, indem er u.a. von sich … nur in der dritten Person sprach und schrieb. Wen mag es bei soviel Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit eigentlich noch wundern, daß eine derartige Persönlichkeit Nähe und Geborgenheit – bei Menschen und in der Natur – besonders nötig hatte und als intimen Lebensraum ein Haus wie die Käseglocke inmitten eines Waldes brauchte? Person und Gebäude standen nachgerade in einer symbiotischen Beziehung.“

Am Ende meiner aktuellen Recherchen bleibt der nicht ganz unwichtige Gedanke hinzuzufügen, inwieweit seine Familie und Herkunft seine Schultern, d.h. sein Leben mit  seinem Tun und Lassen, allzu sehr befrachtete und er sich dieser Bürde nur durch allerlei Kompensationen entledigen konnte. Diese Schicksalslast wird noch offenkundiger, wenn auch die nahe und ferne Verwandtschaft in den Blick genommen wird.

Edwin Koenemanns Grab auf dem Worpsweder Friedhof; Foto: Jürgen Teumer[8]
Der Stammbaum von Edwin Koenemann

Korrekturen

Die falsch dargestellten Sachverhalte beziehen sich einerseits auf Edwins Vater, der als „Mitbegründer und Mitteilhaber der angeblich größten Tuchfabrik der Welt in Narwa“/Estland bezeichnet wird (Teumer 2002, S. 48). Aus der in diesem Beitrag detailliert beschriebenen und durch Dokumente belegbaren Familiengeschichte erweist sich das jedoch als Irrtum. Weder Alexander noch seine Vorfahren Friedrich Wilhelm oder Albert haben sich je in Estland betätigt. Es muss sich hier wohl mit Sicherheit um die Verwechslung mit einem bedeutenden Verwandten handeln, nämlich Napoleon Peltzer (s. Teil III dieser Familiengeschichte).

Andererseits ist eine weitere Angabe ungenau: Sowohl bei Teumer (a.a.O.) als auch bei Groth (2013, S. 32) wird dargestellt, dass der Vater einen Gutshof in der Nähe von Bonn bewirtschaftete (Groth) bzw. besaß (Teumer). Richtig hätte es heißen müssen, dass sich der Gutshof in der Nähe von Koblenz befand und die Familie den Mühlenbacher Hof zwischen 1863 und 1868 bewohnte.[9] Wie diese falschen bzw. ungenauen Angaben entstanden sind, lässt sich – zumindest aus Sicht des Verfassers dieses Beitrages – für seinen Teil nicht mehr rekonstruieren. Die Unterlagen mit Hinweisen auf mögliche Quellen sind nicht mehr verfügbar.

Literatur

– Dahlmann, Dittmar: Lebenswelt und Lebensweise deutscher Unternehmer in Moskau vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In: Nordost-Archiv, Neue Folge Band III (1994) 1, S. 133-163

– Groth, Peter: Die Käseglocke in Worpswede. Baudenkmal und Museum für Worpsweder Möbel und Kunsthandwerk. Freunde Worpswedes e.V. (Hrsg.). Lilienthal 2013

– Teumer, Jürgen: Die Käseglocke in Worpswede. Ein Rundhaus mit Geschichte und Geschichten. Freunde Worpswedes e.V. (Hrsg.). Lilienthal 2001; 2. erw. Aufl. 2002

Weitere Quellen

– Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: HstAD Bestand O 59 Rossmann

– Koenemann, Edwin: Mein Lebens-Lauf, 1883 bis 1938. Manuskript. Freunde Worpswedes e.V.

– Korrespondenzen

– Macco, H.F.: Geschichte und Genealogie der Familien Peltzer. Aachen 1901

– Stadtarchive in Bonn, Hilchenbach, Koblenz und Wiesbaden

– http://gw.geneanet.org/fsoloview

– http://gw.geneanet.org/pmlhennings

– http://www.keneman.com

Bildnachweise

– Siehe die Angaben bei den Abbildungen

Anmerkungen

[1] Edwin Koenemann hatte zwischen 1911 und 1959 auf kleinen Blättern handschriftlich Tagebuchaufzeichnungen gemacht. Dieses Material im Umfang von ca. 80.000 Blättern wird aktuell durch Initiative der „Freunde Worpswedes“ digitalisiert und transkribiert. Diese aufwändige Arbeit könnte in der Folge wichtige Auswertungen, u.a. zur Sozialgeschichte Worpswedes, ermöglichen.

[2] Georg Tappert (1880-1957) gehörte zu den wichtigsten Künstlern des deutschen Expressionismus. Zwischen 1906 und 1909 lebte er in Worpswede und betrieb eine private Kunstschule, die zeitweise auch Edwin Koenemann besucht hatte. Tapperts künstlerischer Nachlass wird in der Georg-Tappert-Stiftung im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum auf Schloss Gottorf in Schleswig aufbewahrt.

[3] Napoleons Rückzug und die Niederlage hatten vor allem zwei Ursachen: Einerseits war bei seinen Soldaten das Fleckfieber ausgebrochen. Die bittere Winterkälte hatte nämlich die Soldaten gezwungen, ihre Kleidung durchgehend zu tragen, ohne sie wechseln oder säubern zu können. Die eingenisteten Kleiderläuse konnten sich deshalb vermehren und ausbreiten, was zu Infektionen mit Todesfolge führte. Andererseits war Napoleons Armee gezwungen, sich aus dem besetzten Moskau zurückzuziehen, weil die Bewohner vor ihrer Flucht ihre Häuser, zumeist aus Holz, angezündet und damit für Mensch und Tier (die Pferde) die Nahrungsgrundlagen entzogen hatten.

[4]  Die Kathedrale St. Peter und Paul kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: Ihre Vorgängerbauten, mehrfach abgebrannt bzw. zerstört, gehen auf das 17. Jahrhundert zurück. Für die deutsche Gemeinde in Moskau hat diese Kirche bis zum heutigen Tag eine besondere Bedeutung. Das ist z.B. abzulesen an der Tatsache, dass anlässlich ihrer Rückübertragung an die Gemeinde im Jahre 2017 – 500 Jahre nach Luthers Reformation – sowohl der damalige EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm als auch Bundespräsident Steinmeier zugegen waren. Und der Bundespräsident soll seinen Besuch dort davon abhängig gemacht haben, dass Präsident Putin das Versprechen der Rückübertragung nach langen Jahren endlich eingelöst hatte, eine „schöne Geste“, wie es Steinmeier in seiner Rede am 25. Oktober 2017 nannte. Im Rückblick auf dieses Ereignis und die damaligen politischen Gegebenheiten muss man sich jetzt, wenige Jahre später, in einer anderen Welt vorkommen. Ausdruck einer damals unvorstellbaren Zeitenwende.

[5] Von einem Gewährsmann aus dieser Region war zu erfahren, dass Alexander Koenemann diesen „Makel“ dadurch auszugleichen versuchte, den aufwändigen Neubau der katholischen St. Nikolaus-Kirche am Ort mit einem hohen Geldbetrag zu unterstützen. Er reihte sich damit in die Phalanx der zum Teil prominenten Förderer ein, an deren Spitze die Kaiserin Augusta, die Ehefrau von Wilhelm I., stand. Die von einer Parklandschaft mit Grotten und Bildstöcken umgebene Wallfahrtskirche wurde auch vom russischen Zaren Alexander II. bei seinen Kuraufenthalten im nahen Bad Ems besucht.

[6] Hermann Koenemann (1871-1934) war – ausgebildet in der Kunsthochschule Karlsruhe, der Berliner Akademie und der (bedeutenden Privat-)Académie Julian in Paris – ein nicht ganz unbedeutender Landschaftsmaler und Grafiker. Seine Werke wurden auf allen großen deutschen Kunstausstellungen, aber auch in Wien und Paris, gezeigt. Er lebte vorwiegend in Mecklenburg (Stargard, Schwerin). Diese familiäre Facette deutet an, dass  bei den Koenemanns neben dem beruflichen Schwerpunkt auf dem Sektor der Industrie zweifellos bei einigen Familienmitgliedern auch eine Nähe zur Kunst, Musik oder Literatur vorhanden war, die sich dann in völlig anderen beruflichen Biografien niederschlug. In den folgenden zwei Teilen dieser Familiensaga werden diese Aspekte besonders deutlich werden.

[7] Die Villa Jertha wurde 1972, obwohl unter Denkmalschutz stehend, abgerissen.

[8] In der Grabstätte sind neben Edwin Koenemann († 1960) seine dritte Ehefrau Editha († 1993) sowie seine Tochter aus erster Ehe, Marion (†1997) und deren Ehemann, Wilhelm Wörtgen († 1993), und schließlich der jüngst verstorbene Ehemann der Enkelin Christa, nämlich Gerhard Schumann († 2022), beigesetzt worden.

[9] Der Mühlenbacher Hof blieb, so war aus dem Landeshauptarchiv in Koblenz zu erfahren, bis 1876 im Besitz der Familie Koenemann.