Festansprache am 25. September 2003 im Worpsweder Rathaus, Dr. Ursula Schirmer, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Lassen Sie mich vorab sagen, daß es mir eine große Freude und Ehre ist, hier heute die Festansprache halten zu dürfen. Ist doch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die ich hier vertreten darf, zwar eine der großen Initiativen für den Denkmalschutz in Deutschland, aber im Vergleich zum heutigen Jubilar mit noch nicht ganz 20 Jahren ein echt junger Hüpfer!
Einen Hundertjährigen – und sei es nur in der Rechtsform eines Vereins – zu ehren, ist eine nicht alltägliche Aufgabe, der sich auch der Schirmherr unserer Stiftung, Bundespräsident Johannes Rau, gerne unterzieht. Ich darf ihn aus seiner Grußadresse zitieren:
„Mit Interesse und Sympathie habe ich davon Kenntnis genommen, daß der Verein „Freunde Worpswedes” in diesem Jahr sein 100jähriges Bestehen feiert. Anfang des letzten Jahrhunderts war es Heinrich Vogeler und sein „Verschönerungsverein”, die sich dafür einsetzten, das Ortsbild Worpswedes noch liebenswerter zu gestalten. Heute setzen die „Freunde Worpswedes” diese Aufgabe fort. Neben dem Erhalt und der Pflege historischer Bauten engagieren sie sich auch bei kulturellen und landschaftlichen Belangen. Manch ein Schmuckstück des Künstlerdorfes, an dem wir uns heute freuen können, schien bereits dem Verfall preisgegeben. Durch die Initiative der Mitglieder des Vereins konnte es jedoch gerettet werden. Ihr Einsatz für die Worpsweder Mühle, den Barkenhoff oder die Käseglocke, um nur einige Beispiele zu nennen, hat sich gelohnt. Dafür sage ich Ihnen Dank und Anerkennung. Ich wünsche Ihnen allen, daß die „Freunde Worpswedes” auch in Zukunft ihre Aufgaben mit so viel Engagement und Erfolg fortführen, wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Mit freundlichen Grüßen Ihr Johannes Rau”
Diesen freundlichen Worten und Glückwünschen unseres Schirmherrn kann ich die unseres Vorstandes und der Geschäftsführung nur anschließen. Nicht zuletzt in der Förderung zweier Worpsweder Projekte – des Kaffees und der Käseglocke – mögen Sie die Wertschätzung der Stiftung für Ihre Arbeit hier in Worpswede bestätigt sehen. 2 von 120 Projekten, die wir in den letzten zehn Jahren mit 6,6 Mio Euro in Niedersachsen fördern konnten.
Gerade in einem Gesamtensemble wie Worpswede gehören Denkmalschutz und Landschaftsschutz untrennbar zusammen. Die Käseglocke wirkt zusätzlich durch ihre Lage in dem zauberhaften Hain, viele Bauten sind auf Sichtachsen und Durchblicke hin konzipiert etc. Daß die „Stiftung Worpswede” durch den Aufkauf von Grundstücken sich besonders diesem Thema widmet – übrigens wieder wie der National Trust, der allerdings auch erhebliche Flächen durch Erbschaft erhält – ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Daß auch die „Vermehrung”, daß heißt die Weiterentwicklung der Anlage als Vereinsziel genannt wurde, scheint mir ein erfrischend lebendiger Zug des Vereins zu sein. Dieser Gedanke belegt eindrucksvoll, daß die Erhaltung von Kulturgut, daß Denkmalschutz und Denkmalpflege nicht unbedingt etwas museales und verknöchertes sein muß. Für kreative und schöpferische Menschen – wie dies die Gründer des Worpsweder Verschönerungsvereins ohne Zweifel waren – ist Bewahrung ohne Weiterentwicklung nicht denkbar. Wobei Veränderung nicht Abriß ist!
Der „Verschönerungsverein Worpswede” scheint nach meinen Recherchen einer der ältesten Vereine in Deutschland zu sein, der es sich schon 1903 zur Aufgabe gemacht hart, „den Ort zu verschönern, insbesondere die bestehende Anlage zu erhalten, zu pflegen und zu vermehren”. Der ansonsten immer als ältester Denkmalschutz-Verein gehandelte Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz – in dem ich als Rhein- länderin natürlich auch Mitglied bin – feiert erst 2006 sein 100jähriges Bestehen. Ähnlich wie beim Rheinischen Verein – und auch bei der vermutlich größten der Denkmalpflege- institutionen in Europa und dem Vorbild vieler Einrichtungen, National Trust in Großbritannien – haben interessanterweise auch die Gründer der „Freunde Worpswedes” den Aspekt des Landschaftsschutzes gleich als Schwerpunktthema mit in die Satzung eingebracht. Dieser Aspekt von der Zusammengehörigkeit von Denkmal- und Landschaftspflege ist auch heute wieder aktuell.
Dieser Gedanke – das müssen die Denkmalpfleger sicher zugestehen – ist leider in den letzten Jahrzehnten in der „staatlichen” Denkmalpflege mancherorts etwas verloren gegangen. Er ist aber eine große Zukunftschance, die nicht nur der Worpsweder Verein, sondern der Denkmalschutz allgemein hat. Gerade junge Menschen können für den Erhalt des historischen Erbes nur gewonnen werden, wenn der konservatorische Aspekt der Denk- malpflege mit einer sinnvollen Zukunfts- perspektive verbunden ist. Schließlich ist Denkmalpflege ein wichtiger Bestandteil einer Politik der Nachhaltigkeit. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat mit ihren Jugendprojekten, insbesondere dem Schulprojekt „denkmal aktiv” und den Jugendbauhütten, feststellen dürfen, daß junge Leute sehr wohl für alte Bauten zu interessieren sind. Gerade, wenn es darum geht, selber durch praktische Arbeit erfahren zu konnen, wie saniert und restauriert wird, welche Vorüberlegungen und Recherchen denkmalpflegerische Maßnahmen verlangen und wie spannend Architekturgeschichte und historische Bauweisen sein können, gerade dann sind auch Jugendliche zu begeistern.
Die scheinbar so neuen und alternativen Ideen des „Ökologischen Bauens” sind nichts anderes als die Wiederentdeckung historischer Bauweisen und Materialien – Lehm, Reet, Lasuren – die oftmals beim Umgang mit Baudenkmalen neu entdeckt wurden und in den letzten 20 Jahren einen ungeahnten Siegeszug angetreten haben.
Der Verein Freunde Worpswedes hat dadurch, daß er selber Eigentümer und Betreuer von Denkmalen ist, eine gute Möglichkeit, jungen Menschen die Chance des Anpackens und selber Machens zu geben. Bei der Durchsicht des Buches, das zur Restaurierung der Käseglocke erschienen ist, wird dies eindrucksvoll deutlich.
Dies ist in Zeiten der zunehmenden Technisierung und Abstrahierung für Junge – aber auch für ältere! Menschen eine wohltuend andere Arbeitserfahrung. Diese Idee des praktischen Engagements hat der National Trust in England mit seinen 38.000 freiwilligen Helfern wiederum vorbildlich realisiert. Sie halten nicht nur die Objekte geöffnet, sondern pflegen die Bauten und Parkanlagen in unzähligen freiwilligen Stunden. Etwas mit den eigenen Händen tun zu können und den Erfolg der Arbeit zu sehen, das ist sicher ein großer Anreiz für ehrenamtliches Engagement. Und Denkmalpfelge ist nun wirklich ein Bereich, in dem man sehen und begreifen kann, worum es geht. Damit macht Denkmalschutz nicht nur Sinn, sondern – und auch das muß erlaubt sein – ganz einfach Spaß und Freude! Sich „an etwas erfreuen”, lateinisch „delectare”, insbesondere als „Kunst-Freunde”, den italienischen „Dilettanti”, scheint meines Erachtens der beste Beweggrund für ein ehrenamtliches Engagement im Verein – auch wenn genau dieser seltsam umbewertete Begriff des „Dilettantismus” dem Ehrenamt heute vielfach vorgehalten wird. Professionalität, der Geldwert von Arbeit, Effektivität, Rationalität scheinen in der heutigen Welt wichtigere Begriffe zu sein. Ich denke jedoch, daß man dieser Tendenz entgegen wirken muß. Gerade als Gegenpol zum beruflich meßbaren Einsatz ist das Ehrenamt und das Vereinswesen der Bereich, wo man wieder aus Freude an der Sache nach seinen individuellen Möglichkeiten etwas für das Allgemeinwohl tun kann.
Ohne Quoten, Normen oder Vorgaben erfüllen zu müssen.Vermutlich liegt es in der Natur eines geordneten Gemeinwesens, eines Staates, daß ihm Freude, Enthusiasmus und Selbstverwaltung, wie sie dem Ehrenamt eigen sind, etwas suspekt sind. Das war bereits im 19. Jahrhundert so, als selbst Goethe und Schiller – im Zusammenhang mit der künstlerischen Liebhaberei – über den Dilettantismus als „Kunst ohne Kenner” polemisierten. Hier hat die Kritik am „Dilettantismus” ihren Ursprung. Dabei waren zu Beginn des Vereinswesens in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts diese Vereine ein wesentliches Testfeld für bürgerschaftliches Engagement. Sie hatten eine immense kulturelle und politische Bedeutung, sie bildeten die Keimzellen für bürgerliche Aktivitäten im kulturellen und sozialen Bereich außerhalb der staatlichen Obrigkeit. Mit deutscher Gründlichkeit wurde dann dem im Wesentlichen auf Freiwilligkeit, Freiheit und Idealismus gründenden bürgerlichen Vereinswesen in der Restauration das „Vereinsrecht” entgegen gestellt, durch das der Staat diese freien Vereinigungen und sozialen Bewegungen wieder unter Kontrolle, Zensur und – teilweise auch – Pression bekam. Vielleicht liegt der Grund dafür, daß auch heute die Verwaltungen engagierte Vereine nicht nur als Bereicherung des öffentlichen Lebens, sondern als Störfaktor empfinden in dieser grundsätzlichen Polarisierung. Doch nur durch Reibung entsteht ja bekanntlich Energie!
Vermutlich erst mit den Begrifflichkeiten der „Bürgergesellschaft”, des „Dritten Sektors” und der „Zivilgesellschaft”, mit denen wir heute operieren, wird eine neue Idee von „Ehrenamt” und „Vereinswesen” als wesentlicher Bestandteil – und Gestaltungsweg! – in der demokratischen Gesellschaft ihren Stellenwert haben. Nur so werden wir uns etwas an die Situation anderer europäischer Länder wie Großbritannien, den Niederlanden oder Schweden an- gleichen, in denen das Ehrenamt und der Freiwilligendienst bei den für das Gemeinwesen wichtigen Fragen – und dazu zählt dort auch der Denkmalschutz! – einen wesentlich höheren Stellenwert hat. Und dies sicherlich nicht zum Nachteil für das Gemeinwesen. Denn allen Unkenrufen zum Trotz ist das Engagement in der Denkmalpflege offensichtlich immer noch reizvoll. Daß hier die Älteren besonders stark in Erscheinung treten, muß man angesichts der demographischen Ent- wicklung und der Entdeckung der „aktiven Alten” als Chance begreifen. Die Ansprüche an das Ehrenamt steigen aber: Vereinsmitglieder wollen nicht nur Ausführen, sie wollen mit-machen, sie wollen mit-diskutieren, mit-lernen und mit-entscheiden. Die Transparenz der Entscheidungen, die Mitsprache bei den Zielsetzungen und die Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung sind wichtige Bausteine für ein lebendiges Vereinsleben heute. Hier neue Wege des Miteinanders zu finden, stellt jeden Verein vor neue Herausforderungen.
Für jeden Verein, aber für das Gemeinwesen insgesamt, ist die Vermittlung der Ideen an die nächste Generation, die Gewinnung der jungen Menschen für das Engagement, von großer Bedeutung. Geschichte und auch Baugeschichte wird an den Schulen – das wissen wir nicht erst seit PISA – nicht so vermittelt, wie es junge Menschen reizt. Hier sind praktische Angebote, wo sich Jugendliche einbringen können, wo sie selber Ziel formulieren und Ergebnisse erreichen können, von ungeheurer Bedeutung.
Das angesprochene Schulprojekt, „denkmal aktiv” birgt eine solche Menge an Ideen, Kreativität und Engagement, daß es uns Mut macht. Daß auch sieben Schulen aus Niedersachsen und eine aus Bremen mit dabei sind, ist doch ein gutes Zeichen. Sicherlich ist die Vereinfachung der gesetzlichen Rahmenbedingungen eine Forderung an den Staat, die notwendig ist. Gerade bei der zunehmenden Übernahme von Verantwortung, wie es auch der Worpsweder Verein und die Stiftung Worpswede getan haben, darf – immerhin ehrenamtliches! – Engagement nicht dazu führen, daß man quasi immer mit einem Bein im Gefängnis steht. Die Vereinsleitung sollte nicht zwangsläufig von Juristen oder Steuerberatern getragen werden müssen, nur um alle juristischen und steuerrechtlichen Feinheiten kennen zu können.
Gerade Beispiele wie die Rettung und Restaurierung der Käseglocke beweisen eindringlich, daß Vereine eben nicht „Laienspielgruppen” sind, sondern fachlich und professionell kulturelle Projekte durchführen können. Und dies ist sicher nur möglich, weil Vereine und Ehrenamtliche gerade eben die Begeisterung und den Spaß an der Sache haben, der die Bezeichnung der „Dilettanten” zur Ehrenbezeichnung werden lassen müßte. Denn in den Vereinen wird Bürgerengagement mit Enthu- siasmus und Freude zum allgemeinen Wohl betrieben.
Und es steht zu hoffen, daß dies mindestens noch weitere 100 Jahre gelingen wird, damit Worpswedes Schönheit weiterhin „erhalten, gepflegt und vermehret” werde.