Wir kannten uns schon viele Jahre, noch aus der DDR-Zeit. Über unser erstes Treffen berichtet er selbst: „Peter Elze traf ich das erste Mal 1986 in der Küche des Malers Christoph Niess in Berlin-West. Es war die Ruhestunde vor der Ausstellungseröffnung Kassandra von Niess im Funkhaus des SFB. Peter Elze hatte den Katalog gemacht und war deshalb angereist. Ich war der unbekannte Kollege aus dem Osten. Für mich war es der erste Besuch in Westberlin seit Errichtung der Mauer. Dass ich dabei jemanden aus Worpswede treffen würde, hatte ich nicht geahnt, gefiel mir aber sehr. Ich hatte viele Fragen zum zweigeteilten Vogeler. Doch mein 24-Stunden-Visum lief ab. Doch Peter Elze hatte mich zu einem Besuch nach Worpswede eingeladen…“
Werner Schinko stammte aus Böhmen, wo er 1929 geboren wurde. Er begann 1943 zunächst eine Lehre als Glasmaler. 1946 wurde die Familie aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und landete schließlich in Röbel an der Müritz. 1950 nahm er das Studium auf und ging zur Kunsthochschule Berlin-Weißensee, zu seinen Lehrern zählten keine Geringeren als Werner Klemke und Rudolf Vogenauer.
Schinko nahm sich besonders der bei uns im Westen wenig gepflegten Kunst der Buchillustration an. Dabei schätze ich besonders seine Farbholzschnitte mit Märchenmotiven und den jahrzehntelangen Titelgestaltungen der Zeitschrift „Die Unterstufe“ und seine Illustrationen zu Fritz Reuter für den Rostocker Hinstorff-Verlag. Dies brachte ihm auch Aufmerksamkeit und Anerkennung bei der westdeutschen Fritz-Reuter-Gesellschaft, die ihn regelmäßig zu ihren Versammlungen einlud.
Werner Schinko schreibt dazu: „Die Unterschrift Honeckers unter den KSZE-Vertrag machte vieles möglich, was vorher undenkbar gewesen war. Eine Reise nach Lüneburg zur Tagung der Fritz-Reuter-Gesellschaft 1987 nutzte ich zu einem Besuch in Worpswede. Peter Elze holte mich in Bremen vom Bahnhof ab. Bald saßen wir wieder zusammen in einer Küche. Es war der gastliche Tisch von Ruth Elze, der uns vereinte. Der einwöchige Besuch bot sehr viele Seherlebnisse, vor allem, wenn man im Haus im Schluh wohnen durfte. Peter Elze machte mich auch mit der Kunsthalle Netzel und mit Autoren seines Verlages bekannt. Das Künstler-Ehepaar Eva und Martin Kausche öffnete mir sein Atelier, zeigte mir auch die Atelierhäuser und lud mich zu einem Aufenthalt in eine der Atelierwohnungen ein. Verlockende Aussichten, aber würde ich das Visum bekommen? Voller Hoffnung trat ich die Heimreise an. Die Bearbeitung der Formalitäten für einen Stipendienaufenthalt für mich und meine Frau dauerte fast zwei Jahre. Erst im Mai 1989 beluden wir unseren Wartburg und fuhren nach Worpswede, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Ein freundlicher Empfang in Worpswede war uns sicher. Wir bekamen Gelegenheit, einige Monate Leben in der Bundesrepublik zu üben.“
1990 reiften bei mir die Pläne, eine große Ausstellung im Barkenhoff zum Thema „Kinderheim der Roten Hilfe“ zu machen. Mir gelang es, Werner Schinko für eine Rekonstruktion der berühmten, aber zerstörten „Barkenhoff-Fresken“ zu gewinnen, in Originalgröße an zwei Wänden der Diele. Ein Wohn-Stipendim der Barkenhoff-Stiftung machte es möglich. Schinkos Kommentar dazu: „Mir ist es in der DDR immer gelungen, Hammer und Sichel aus meinen Arbeiten fern zu halten. Nun komme ich in den Westen und was muss ich malen: Hammer und Sichel!“
Werner Schinko und seine Frau bekamen eine Wohnung im Barkenhoff, ich machte einen Raum im Worpsweder Archiv für ihn als Atelier frei. Dort entstanden Vogelers Malereien auf leichten, transportablen Depa-Fit-Platten neu, Vorlagen waren nur erhaltene Schwarz-Weiß-Fotos und Reste der Original-Malerei am Kamin, die eine Orientierung zur Farbigkeit gaben.
Über die Entstehung der Ausstellung und Wiederherstellung der Wandmalereien habe ich 1991 einen Film gedreht: Das war vor 25 Jahren, mit einem einfachen Camcorder ohne jegliches technisches Equipment, entspricht der Streifen bei Weitem nicht den heutigen Möglichkeiten, ist aber inzwischen ein schönes Dokument einer nahezu vergessenen Ausstellung mit über 1000 Besuchern an einigen Tagen und der Arbeit von Werner Schinko.
Außerdem wird in dem Film die Rekonstruktion der Kaminhaube aus Messing gezeigt, die einst der Gürtler Fidi Harjes für das Kinderheim schuf. Das Original ist längst verschwunden, so hat Michael Harjes, der dem Beruf seines Vaters, des einstigen Kommunarden Fidi Harjes, gefolgt ist, aus Anlass der Ausstellung die Haube neu gefertigt. Heute ist diese Arbeit das Einzige im Barkenhoff, was nun als Dauerausstattung geblieben ist.
Werner Schinko wurde Ehrenbürger von Röbel, und er selbst hat nie darüber gesprochen – bekam den Ehrenbrief der Fritz-Reuter-Gesellschaft, ich habe es erst aus dem Internet erfahren:
Im Jahr 2004, zu Schinkos 75. Geburtstag, dankte die Gesellschaft ihm ausdrücklich für „seine aufrechte und klare Haltung gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR“. In ihrem Mitteilungsblatt war zu lesen: „Den Versuch des Ministeriums, ihn als Informanten ’zur Aufklärung von Verflechtungsbeziehungen zur Feindobjektakte Zentrum’ (gemeint ist die FRG) zu gewinnen, ließ er scheitern.“ In den Stasi-Unterlagen zur Fritz Reuter Gesellschaft sei dokumentiert: „Der Kontakt zur Person Sch. [Schinko] Röbel konnte nicht positiv gestaltet werden. Sch. [Schinko] lehnt eine Zusammenarbeit ab.“
Nun ist Werner Schinko mit 86 Jahren am 5.Juli 2016 unerwartet, wenige Wochen nach unserem letzten Besuch in Röbel verstorben. Ein wahrer Freund Worpswedes – möge dieser Bericht dazu beitragen, dass er auch hier nicht vergessen wird.