Zu Besuch am Grab von Rainer Maria Rilke

Ach wie gern schmücken sich Städte, Dörfer, Gaststätten, Hotels und andere Etablissements mit berühmten Gästen. Hier speiste am 6. Dezember 1962 Vico Torriani, hier übernachtete vom 3. auf den 4. Juli 1795 Johann Wolfgang von Goethe, hier weilte am 10. Dezember 1777 der geheime Rat J.W.v.G. – und wird damals auf dem Harzer Brocken sicherlich kalte Füße bekommen haben. Das verschweigt die Tafel. Zu profan. Und was der Schweizer Schlagersänger Torriani einst gegessen hat, auch das erfahren wir leider nie.

Katharina Blazek, Foto von Karin Borchers

Eine Erinnerungstafel sagt den Nachgeborenen nicht immer alles. Man mag sich seinen Reim drauf machen, warum Goethes Übernachtung eine Giebelwand schmückt, warum wir viele, viele Jahre später ehrfurchtsvoll auf Bronze- und Marmorschilder schauen, die von der einstigen Anwesenheit prominenter Menschen künden. Eine bemerkenswerte Tafel fand jetzt Katharina Blazek am Grab des „Fast-Worpsweders“ Rainer Maria Rilke in Raron, einem Ort im Schweizer Kanton Wallis zwischen Zermatt und Grindelwald gelegen. Die mittlerweile am Bodensee lebende Tochter der langjährigen Leiterin der Großen Kunstschau Worpswede Ulla Köhler war nach einem Tipp von Peter Elze in das sich stolz „Rilkedorf“ nennende Raron gewandert, stieg zur Burgkirche St. Romanus hinauf und entdeckte dort das Rilke-Grab an der Südseite des Gotteshauses. Die am 2. Januar 1927 eingerichtete Ruhestätte, die der Dichter sich kurz vor seinem Tode erbeten hatte, ziert inmitten von Lavendel ein schlichtes Holzkreuz mit den Initialen und den Lebensdaten. Dahinter an der Kirchenwand ein weißer Marmorstein mit Wappen, dem vollständigen Namen und einem von Rilke selbst verfassten Grabspruch: „Rose, oh reiner Widerspruch, Lust Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern“. Eine würdige letzte Ruhestätte des am 29. Dezember 1926 im Sanatorium Val-Mont verstorbenen Dichters, der dem Künstlerdorf Worpswede mit seiner Monografie über die ersten Maler viel Ansehen und Aufmerksamkeit eingetragen hat.

Dieses Grab, so hat Katharina Blazek im örtlichen Museum auf der Burg erfahren, wird natürlich von sehr vielen Touristen aus dem In- und aus dem Ausland besucht. Manch einer findet dann auch den Weg in das Museum im Alten Pfarrhaus, in dem in einer Dauerausstellung an den berühmten Toten vom benachbarten Friedhof erinnert wird. Und dort erinnert man sich auch an den berühmten Besucher, der am 14. April 1989 das Grab besuchte. Eine Bronzetafel an der Kirchenwand in der Nähe des Rilke-Grabes dokumentiert diese Visite nun für alle Zeit: „Die Gemeinde Raron in dankbarer Erinnerung an den Besuch des Rilkegrabes und der Rarnerburg durch Herrn Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl am 14. April 1989“. Der von dem Schriftsteller Marcel Beyer der absoluten Literaturferne geziehene Bundeskanzler Helmut Kohl am Grab Rainer Maria Rilkes – welch ein ungewöhnliches Zusammentreffen. Im Museum ist man sich heute nicht ganz sicher, ob der Politiker mit Rilke etwas anfangen konnte. Aber Hannelore Kohl, die habe damals geschwärmt. Das weist die Tafel an der Kirchenmauer nicht aus. Es bleibt also nur die eigentlich nichtssagende Information, dass Kohl da war, dass Goethe auf dem Brocken war und dass Vico Torriani einmal aushäusig gegessen hat.

Fotos: Katharina Blazek