Fritz Mackensen – Ehrenvorsitzender der „Freunde Worpswedes“

Es hat Zeiten gegeben, da fiel kein Schatten auf die Person des vor 150 Jahren geborenen Malers Fritz Mackensen. Er gab die Initialzündung für die Gründung der Künstlerkolonie Worpswede im Jahr 1889. Er regte Kollegen wie Otto Modersohn, Hans am Ende, Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler und Carl Vinnen an, sich abseits der Kunstzentren auf das Abenteuer einer neuen Malerei abseits des vorherrschenden Akademismus einzulassen, Landschaft und Menschen neu und für die damalige Zeit unkonventionell zu sehen. Der Erfolg blieb bekanntlich nicht aus – die Worpsweder sorgten mit ihren Bildern 1895 auf der Münchener Glaspalast-Ausstellung für Furore. Damit aber nicht genug: Auch als Lehrmeister profilierte sich Fritz Mackensen, schulte und förderte Paula Modersohn-Becker, Clara Rilke-Westhoff, Ottilie Reylaender und andere junge Künstler.

Diese Verdienste, seine bisweilen bis ins Monumentale ausufernde Bilderwelt machten ihn berühmt. Mehrfach wurden Mackensen Professoren-Stellen an deutschen Kunstakademien angeboten, ehe er 1908 einen Ruf nach Weimar annahm, aber seinen Wohnsitz in Worpswede behielt. Mackensens Verdienste um Worpswede, seine überregionale Reputation brachten ihm 1926 die Ehrenbürgerwürde seines Wohnortes ein – eine Würdigung, die vor- und nachher keiner anderen Person zuteilwurde. Man begegnete dem seit 1901 in einer stattlichen Villa am Susenbarg lebenden Maler, der es zwischenzeitlich auch zum Vorstand des Deutschen Künstlerbundes und zum Mitglied der Berliner Sezession gebracht hatte, im Dorf mit großer Ehrerbietung. Daran änderte sich bis zu seinem Tod im 87. Lebensjahr am 12. Mai 1953 nichts – die Freunde Worpswedes wählten Mackensen 1952 zu ihrem ersten und bis heute einzigen Ehrenvorsitzenden, und im gleichen Jahr verlieh Bundespräsident Theodor Heuss ihm das Bundesverdienstkreuz.

An der so zum Ausdruck kommenden Wertschätzung des Malers und Gründers der Künstlerkolonie hat sich nach seinem Tod Jahrzehnte lang nichts geändert. Zum 100. Geburtstag richtete ihm die Kunstschau in der Böttcherstraße 1966 eine der seltenen Einzelausstellungen aus. Aus dem Besitz des Worpsweder Kunsthändlers Bernhard Kaufmann, der den Grundstock für die heute wohl bedeutendste Mackensen-Sammlung legte, wurden in Bremen vor allem frühe Werke gezeigt.

Es verging beinahe ein weiteres Vierteljahrhundert, bis Leben und Werk des Fritz Mackensen kritisch beleuchtet wurde. Die Initialzündung lieferte die 100-Jahr-Feier der Künstlerkolonie 1989, aus diesem Anlass erschienen mehrere Bücher, in denen sich Autoren wie Hans-Christian Kirsch oder Guido Boulboullé unter anderem kritisch mit Mackensen auseinandersetzten. Eine erste gründliche Betrachtung lieferten 1990 Bernd Küster und Ulrike Hamm in dem Katalog, der zu der von Peter Elze im Barkenhoff kuratierten Fritz Mackensen-Ausstellung erschien. Sie wiesen nach, dass es zwischen Mackensen und den Künstlern der Worpsweder Gründergeneration schon in den 1890-er Jahren zum Bruch kam – seine herrische Persönlichkeit, seine politische zutiefst reaktionäre Haltung passte einfach nicht zu den „freien Geistern“, die sich um Heinrich Vogeler und seinen Barkenhoff zusammenfanden.

Mackensen, so schreibt es Bernd Küster, glaubte in einer Art romantischem Mystizismus an Ewigkeitswerte, er sah sich in seiner Sonderrolle als Künstler auserkoren, die Geheimnisse der Natur zu erkunden. Diese elitäre Haltung und sein ausgeprägter Hang zum Militarismus machten Mackensen zur Zielscheibe des Spotts seiner Kollegen. Und Küster sieht mit Ulrike Hamm, die 1978 über Mackensen promovierte und ein Werkverzeichnis der Ölgemälde erstellte, auch deutliche Hinweise, dass sich der von Selbstzweifeln völlig freie Gründer der Künstlerkolonie schon vor 1900 künstlerisch nicht mehr weiterentwickelte. In seinen großformatigen, bis ins letzte Detail durchkonstruierten Gemälden herrschte Pathos und Verklärung vor, die zuvor entstandenen Ölstudien und auch die Vielzahl der Porträts bezeichnet Ulrike Hamm dagegen als sehr viel persönlicher und spontaner in der naturalistisch-impressionistischen Malweise.

Die dunkelste Seite im Leben und Werk von Fritz Mackensen ist dann erst 2014 in der „Mythos und Moderne“-Ausstellung zum 125-jährigen Jubiläum der Künstlerkolonie präsentiert worden. Zwar trat der Maler erst 1937 in die NSDAP ein, engagierte sich aber ab 1933 im Sinne der neuen braunen Machthaber. Als Leiter der neuen Nordischen Kunsthochschule in Bremen entwarf er ein Lehrprogramm, das den „Aufbau einer eigenen Kunst im Sinne Adolf Hitlers“ vorantreiben sollte. Auch wenn er schon 1935 von anderen strammen Nazis aus der Hochschule herausgemobbt wurde – Mackensen blieb in Worpswede Gewährsmann für die NS-Kulturpolitik, diente sich den braunen Machthabern mit pathetischen Gemälden des Reichsarbeitsdienstes und seines Führers Konstantin Hierl oder mit einschlägigen Familiendarstellungen an. Diese 2014 erstmalig in Worpswede gezeigten Gemälde stehen in seltsamen Kontrast zu einem ebenfalls ausgestellten wunderbaren Porträt der Tochter Alexandra, das Mackensen um 1938 in expressiver Farbigkeit malte.

Dass Mackensen die Ideologie des NS-Staates politisch zumindest akzeptierte, steht außer Frage. Dass er sich auch künstlerisch anbiederte, bedarf noch einer gründlicheren Untersuchung, weil sein Motiv dafür nicht so eindeutig ist. Neben der ideologischen Nähe könnte es durchaus auch die blanke materielle Not gewesen sein, die Mackensen seit den 1920-er Jahren litt. 1945 nach der Befreiung hatte er jedenfalls keine Probleme damit, sich den amerikanischen Besatzungssoldaten, die ihn aus seiner Villa vertrieben hatten, sofort als Maler für Porträts anzubieten. An seiner Isolation von der übrigen Worpsweder Künstlerschaft und der bitteren Armut änderte sich auch nach dem Ende des Dritten Reichs nichts. Mackensen blieb sich als herrische, unnahbare Persönlichkeit treu, spazierte mit umgebundenem Schleppsäbel durch das Dorf, wie sich Zeitzeugen wie Thomas Schiestl oder Werner Schön erinnern. Unmittelbar nach Kriegsende, so geht eine weitere Legende, habe er gar mit dem Luftgewehr auf amerikanische Soldaten geschossen, die sich mit deutschen „Frolleins“ im Garten seiner Villa sonnten – die Amerikaner schossen zurück, die Einschläge in den Wänden der Villa hat erst deren heutiger Besitzer Conrad Naber tilgen lassen. Persönliche Folgen hatte diese Tat für Mackensen erstaunlicherweise nicht.

Warum die Freunde Worpswedes Fritz Mackensen ehrten, warum auch die junge Bundesrepublik ihn mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnete, wirkt sechs Jahrzehnte später schwer nachvollziehbar. Es war Bundespräsident Theodor Heuss selbst, der nach Worpswede kam und dem Maler die Auszeichnung persönlich in seiner Villa überbrachte. Solche Ehrbezeugungen nur wenige Jahre nach Ende der NS-Zeit zeigen einmal mehr: Die Geschichte Fritz Mackensens ist bis heute nicht hinreichend aufgearbeitet und wird wohl leider auch im Jahr seines 150. Geburtstages nicht erforscht. Die Schatten bleiben.