Die Schale aus massivem, fast durchsichtigem Glas ist schwer, in der Form archaisch. Auffällig sind im Innern des Corpus unregelmäßig angeordneten Luftblasen und Farbschlieren. Dieses einzigartige Kunstobjekt ist der Käseglocke von der Worpsweder Familie Meyer-Stiens geschenkt worden. Damit verfügt das Museum für das Worpsweder Kunsthandwerk neben anderen farbigen Glasobjekten jetzt über eine weitere repräsentative Arbeit der Glaskünstlerin Edith Maria Heinze (1923-1993).
Edith Maria Heinzes Werk und Leben ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Sie zeichnete sich nicht nur durch einen erstaunlich innovativen Umgang mit dem Werkstoff Glas aus – sie hat, wie es ihre heute noch in Worpswede lebende Tochter Corinna ausdrückt, ein Leben lang „Hummeln im Hintern“ gehabt, erstaunliche künstlerische Projekte auf den Weg gebracht, die von großer persönlicher Risikobereitschaft zeugen.
Geboren wurde sie als Tochter eines Polizeioffiziers in Bremen, besuchte in der Hansestadt die Höhere Handelsschule. 1938 ging sie mit der Familie nach Dessau und siedelte noch während des Krieges nach Neugraben bei Hamburg über. Zwischen 1942 und 1949 studierte sie zuerst in Flensburg und später in München Bildhauerei, Innenarchitektur, Malerei und Gesang. Die nächste Lebensstation bildete Hamburg – dort heiratete sie einen Zahnarzt, von dem sie 1953 wieder geschieden wurde. Zwischen 1953 und Ende 1957 baute sie bei der traditionsreichen Hamburger Sparkasse eine eigene grafische Abteilung auf, ehe sie 1958 mit ihrer kleinen Tochter nach Worpswede kam. 1955 hatte Edith Maria Heinze
Worpswede erstmalig nach dem Krieg wieder besucht und Gefallen an dem ruhigen beschaulichen Leben in dem Künstlerdorf gefunden. Eine erste Wohnung fand sie in den Baracken an der Eulen-Töpferei hinter dem Ohlerschen Haus am Weyerberg. Ihre eigentliche berufliche Idee, den Lebensunterhalt als Keramikerin zu verdienen, geriet schnell ins Hintertreffen, weil sie den Werkstoff Glas für sich entdeckte. Sie experimentierte viel, handelte sich den Spitznamen „Scherben Edith“ ein, ließ sich von Künstlerfreunden wie Helmut Heinken anregen. Schließlich fand sie ein Produktionsverfahren, wie sie die von Glashändlern besorgte Scherben in unterschiedlichen Farbigkeiten und durch die Veredelung mit anderen Materialien während des Schmelzprozesses formen konnte. Dieses „Verfahren zur Herstellung von Schichtkörpern aus ungefärbtem und gefärbtem Glas“ hat sie noch 1958 zum Patent angemeldet. Aus ihrem „Maree-Glas“ entstanden anfangs Schmuckanhänger, Armbänder, kleine Schalen, Aschenbecher, Manschettenknöpfe, später dann auch Glasbilder, Lampen in enger Kooperation mit dem Möbeltischler Heinrich „Stuhl“ Kück, Fenster bis zur Größe von 40 mal 70 Zentimeter sowie Türgriffe. Diese im Feuer des Brennofens vollendeten Objekte, deren Formen die Künstlerin aus einer Spezialmasse entwickelte und deren Farben sich über den dosierten Zusatz von Oxyden und Edelmetallen entfalteten, fanden nicht nur private Abnehmer und Liebhaber. Edith Maria Heinze erhielt auch öffentliche Aufträge, stattete Räume der Berufsschule und der Kreissparkasse in Osterholz-Scharmbeck, des Lilienthaler Krankenhauses, des Wasserwerkes in Wallhöfen und der Bremer Landesbank aus.
Ihre Wanddekoration im Pumpenraum des Wasserbehälters auf dem Weyerberg ist normalerweise nur für die Mitarbeiter des Wasser- und Bodenverbandes zugänglich. 2009 haben die „Freunde Worpswedes“ im Rahmen des Tages des Offenen Denkmals für interessierte Besucher die Türen öffnen lassen. Einst, beim Bau der Anlage hatten die „Freunde“ dafür gesorgt, dass die beiden Betonklötze mit Sand umhüllt werden, sie so aus der Landschaft verschwanden, und gleichzeitig der Weyerberg ein paar Meter an Höhe gewann. Parallel zeigte Edith Heinze ihre Arbeiten auf Ausstellungen in verschiedenen norddeutschen Museen und Galerien.
Bis 1960 arbeitete sie in ihrem ersten Worpsweder Domizil hinter dem Weyerberg, dann zog sie für drei Jahre in die Nähe des Worpsweder Bahnhofs in ein Haus an der Straße „Vor den Pferdeweiden“. Erst an ihrem dritten Wohnort in Worpswede im Ernst-Licht-Weg löste sich ein stetiges Problem mit der Energieversorgung – ihr großer Brennofen verbrauchte ungeheuer viel Strom. Da benötigte die Glaskünstlerin entsprechende Kapazitäten und günstige Tarife des Energieversorgers.
Neben ihrer eigentlichen Arbeit interessierte sich die äußerst kommunikative Edith Maria Heinze immer wieder auch für künstlerische Kooperationen. So erwarb sie 1969 mit Unterstützung des Lilienthaler Unternehmers Konrad Naber das ziemlich heruntergekommene Schloss Etelsen in dem gleichnamigen Stadtteil von Achim. Ihre Idee, dort ein Kulturzentrum für Ausstellungen und Konzerte zu etablieren, ließ sich allerdings nicht realisieren – das Projekt war schlicht eine Nummer zu groß für eine Künstlerin. Das hat Edith Maria Heinze aber nicht davon abgehalten, weiter ihre Träume und Visionen zu verfolgen. 1977 verkaufte sie ihre Werkstatt und ihr Haus an die Glaskünstlerin Gertrud von der Lieth, die dann bis 2008 am Ernst-Licht-Weg tätig war. Mit Sack und Pack siedelte Edith Maria Heinze ins damalige Jugoslawien über. In der Nähe des kroatischen Städtchens Draga erwarb sie einen alten Bauernhof. Ihr Plan, auf dem Georgshof eine Künstlerkolonie zu etablieren, scheiterte allerdings an skeptischen Behörden und Politikern. Bis 1980 blieb sie dort, stattete eine Kapelle auf dem Hof mit zwei farbigen Glasfenstern aus, die noch heute Attraktionen für Adria-Urlauber sind. Nächste Station war ein Bauernhof im Südschwarzwald, den sie kaufte. 1982 zog es die Künstlerin wieder in den Norden nach Hechthausen bei Stade, wo sie auch als Heilpraktikerin arbeitete. 1984/85 kehrte Edith Maria Heinze dann noch mal für knapp vier Jahre nach Worpswede zurück, lebte im Schluh und im Sophie-Bötjer-Weg. Die Arbeit mit dem Glas hatte sie da schon aufgegeben, beschränkte sich auf die Malerei. 1988 wechselte sie dann ein letztes Mal ihren Wohnort, zog nach Spanien in die Nähe von Valencia, wo sie weiter malte. Dort ist Edith Maria Heinze dann 1993 gestorben.
Von ihr bleiben die ungewöhnlichen Glasobjekte, die in vielen privaten Haushalten befindlichen Schmuckstücke, Glasbilder und die Erinnerungen an eine ungewöhnlich lebenslustige Frau, die manchen Künstlerkollegen hilfreich zur Seite stand.