Bernhard Hoetger – ein Künstler wird wiederentdeckt

In Worpswede finden sich seine Werke auf Schritt und Tritt: der Niedersachsenstein, das Ensemble um die Große Kunstschau mit dem „Café Verrückt“ und der „Buddha“  im Kiefernwäldchen davor, das Gebäude der Touristinformation an der Bergstraße, der Garten hinter dem Diedrichshof, das Grab von Paula Modersohn-Becker auf dem Friedhof, Teile der Einrichtung und Schausammlung in der Käseglocke, dem Museum für Worpsweder Kunsthandwerk – Bernhard Hoetger (1874 – 1949) ist mit und an markanten Orten so präsent wie kaum ein anderer Künstler in dem Dorf. Und doch erreicht seine Popularität nicht annähernd die der Gründer der Künstlerkolonie. Hoetger erscheint sperrig, schwer zu verstehen, ja, auch nicht stringent in seinem vielfältigen Lebenswerk. Wie bringt man es unter einen Hut, dass Hoetger anmutige kleine Bronzeplastiken modellierte, Bestecke entwarf, krude-martialische Bauten schuf, obwohl er doch gar kein Architekt war, und sich politisch in abstruse esoterisch-völkische Welten verirrte, die selbst den Nationalsozialisten suspekt erschienen?

Nein, sieht man mal von den frühen Skulpturen und den Bestecken, von karikierenden Bronzefiguren und Gemälden südlicher Landschaften ab – ein leicht verständlicher Sympath war Bernhard Hoetger sicherlich nicht. Eher ein umtriebiger Künstler mit vielen Grauzonen, die bislang nur unzulänglich kunst- und zeithistorisch aufgearbeitet sind. Mehr noch – außerhalb Worpswedes und Bremens, zum Beispiel an seinem Geburtsort Dortmund-Hörde, gibt es kaum Interesse an diesem Künstler, auch wenn es dort einen Hoetger Park mit späten Skulpturen gibt. Im Jubiläumsjahr 2024 spielte der Künstler in den Dortmunder Museen keine Rolle, obwohl man dort über den von Lee Hoetger geschenkten Nachlass verfügen kann. Allenfalls in Darmstadt ist Hoetger mit seinen Skulpturen im Platanenhain der Unesco-Weltkulturerbe-Stätte Mathildenhöhe präsent, und in Bern, Wuppertal und Bad Harzburg (Café WINUWUK) finden sich weitere Spuren seines Schaffens. 

Der Worpsweder Museumsverbund unternimmt mit seinem auf mehrere Jahre angelegten Projekt „Zeitenwende. Kunst im Aufbruch in einer Welt im Umbruch“ den Versuch, besondere Persönlichkeiten und Bauwerke des Ortes in museumsübergreifenden Ausstellungen und Begleitprogrammen zu beleuchten und zu hinterfragen. 2022 wurde der Anfang mit Heinrich Vogeler gemacht, 2024 war Bernhard Hoetger an der Reihe, 2025/26 folgt Paula Modersohn-Becker und nur im Haus im Schluh Martha Vogeler.  2027 dominiert die dann ein Jahrhundert zurückliegende Eröffnung der Großen Kunstschau als Ausstellungsthema. Immer sind runde Geburtstage oder Jubiläen der äußere Anlass. Gleichzeitig geht es den Museen aber auch darum, mit „großen Namen“ die Besucherzahlen hochzuhalten und Worpswede als kulturell interessantes Reiseziel zu präsentieren.

Nach den Erfahrungen mit der Präsentation Heinrich Vogelers in verschiedenen Ausstellungen und parallel in einem semi-biografischen Kinofilm wurde auch der 150. Geburtstag Bernhard Hoetgers in der Kombination Ausstellungen/Kinofilm begangen. Dabei hatten sowohl die drei Museen als auch die Filmemacher mit Problemen zu kämpfen, die dem Publikum glücklicherweise verborgen blieben. Plötzliche Personalwechsel bei der Entwicklung der Ausstellungen und die Entdeckung eines ganz besonderen, für den Film essenziell wichtigen Interviews des Bremer Journalisten Albert Theile mit Olga Bontjes van Beek aus den 1960-ger Jahren unmittelbar vor dem Produktionsstart forderten Neuausrichtungen in der Darstellung von Leben und Werk Bernhard Hoetgers.

Die Worpsweder Kunsthalle, der Barkenhoff und die Große Kunstschau haben von März bis Ende Oktober 2024 Hoetger als Impulsgeber für seinen Malerfreund Willy Dammasch, für Albert Schiestl-Arding, Bram van Velde und Alfred Kollmar (Kunsthalle), Hoetger als Künstlerkollegen und Nachbarn von Heinrich Vogeler (Barkenhoff) und als Schöpfer eines vielfältigen bildhauerischen Werkes (Große Kunstschau) vorgestellt. Diese Bandbreite bietet genügend Stoff für gleich drei Präsentationen und umfasst noch nicht einmal das komplette Lebenswerk Hoetgers. Die Einflüsse der genannten expressionistischen Maler auf Hoetgers Werk war noch kein Thema. Seine Tätigkeit als autodidaktischer Baumeister, als Bildhauer-Architekt, wurde 2024 in den Jubiläumsausstellungen noch ausgeklammert und wird möglicherweise 2027 zur hundertsten Wiederkehr der Eröffnung der Großen Kunstschau thematisiert. Dann werden die Besucherinnen und Besucher wahrscheinlich auch zwei andere Bauwerke Hoetgers, den Niedersachsenstein und das Kaffee Worpswede (im Volksmund: Café Verrückt) anders als 2024 ohne Bauzäune und Absperrungen besichtigen können. Und man wird dann möglicherweise die bislang ziemlich unterbelichtete Bedeutung Bernhard Hoetgers bei der Gewinnung von ambitionierten Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerkern für den Kunstort Worpswede angemessen beleuchten oder sein Bemühen, Ausstellungsorte und Verkaufsflächen für Künstler zu schaffen, untersuchen. Wünschenswert wäre überdies eine genauere Analyse der völkisch-esoterische Denkweise, die in den Ausstellungen zum 150. Geburtstag nur auf einer knappen Texttafel beschrieben wurde. 

Besucherinnen und Besucher der von Bruno Taut entworfenen Käseglocke, dem seit 2001 bestehenden Museum für Worpsweder Kunsthandwerk, können in diesem runden früheren Wohnhaus nicht nur Plastiken, Möbel und Designobjekte von Bernhard Hoetger, sondern auch von den Keramikern, Glas-, Holz- und Metallarbeitern sehen, die durch ihn nach Worpswede kamen. Sie waren in den Worpsweder Kunsthütten für die Hoetger-Bauten tätig, ehe diese Einrichtung nach Bremen umzog, um dort als „Werkstatt der Sieben Faulen“ bei der Gestaltung der Böttcherstraße aktiv zu werden.

44 000 Besuche zählten die drei Hoetger-Ausstellungen im Jahr 2024 in Worpswede. Etliche unter ihnen werden durch den parallel vorgestellten szenisch-dokumentarischen Film „Hoetger – Zwischen den Welten“ der Drehbuchautorin und Regisseurin Gabriele Rose angelockt worden sein. Wie schon 2022 beim Ausstellungsprojekt zu Heinrich Vogeler flankierte ein Film die Werkschau in den Museen. Während in der mit Spielszenen durchsetzten Dokumentation „Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers“ neben tatsächlichen Kennerinnen und Kennern des Vogelerschen Lebenswerkes auch Personen zu Wort kamen, die eher wegen ihrer Prominenz oder aus anderen sachfremden Gründen befragt wurden, stehen in dem Hoetger-Film wirklich nur sachkundige Expertinnen und Experten Rede und Antwort. Diese Tatsache und ein nachgestelltes Gespräch zwischen dem Journalisten Albert Theile und Olga Bontjes van Beek über deren Freund und Förderer Hoetger, das sich wie ein roter Faden durch den Film zieht, zeichnen diese filmische Annäherung an eine komplexe Persönlichkeit aus. Während einer Tagung zu Leben und Werk Hoetgers in Bremen und Worpswede im September 2024 hat Drehbuchautorin und Regisseurin Gabriele Rose herausgestellt, dass es ihr in ihrem Film vor allem darum ging, die komplexe, schwierige Persönlichkeit des in Worpswede zu Lebzeiten nicht eben besonders geschätzten Künstlers aufzufächern. Seine künstlerische Entwicklung, sein politisches Denken sind kaum in ein Schwarz-Weiß-Raster einzupassen. Wer regte ihn an, war er nur ein skulpturaler Nachahmer, ein Eklektiker, der sich in seinen Stilmitteln hier und dort bediente? War seine politische Haltung auch eine Gefälligkeit gegenüber seinem Mäzen Ludwig Roselius, ein dem Zeitgeist der 1920-ger und 1930-ger Jahre geschuldetes krudes, esoterisch-völkisches Denken? Die in dem Film durchweg verwendeten Originalzitate und Kommentierungen geben erste Antworten auf diese Fragen.

Moritz Führmann, Darsteller von Bernhard Hoetger, besuchte mit seiner Frau Anna Schudt, als Schauspielerin aus der
„Tatort“-Reihe und aus vielen Fernsehfilmen bekannt, die Käseglocke gemeinsam mit zahlreichen Familienmitgliedern und Freunden. Foto: Peter Groth

Nebenbei bemerkt: Interessant ist, dass die Darsteller der Titelfiguren im Vogeler-Film und im Hoetger-Film, Florian Lukas und Moritz Führmann, es nicht dabei bewenden ließen, ihre Rollen auszufüllen. Beide haben sich nach der Fertigstellung der Filme weiter intensiv mit den von ihnen dargestellten Künstlern und Worpswede beschäftigt. Florian Lukas war mit seiner Familie mehrfach im Ort, hat im Haus im Schluh beim dortigen Freundeskreis aus den Briefen Heinrich Vogelers gelesen. Auch Moritz Führmann kehrte mittlerweile mit Familie, Verwandten und Freunden nach Worpswede zurück, organisierte eine Führung durch den Ort und die Museen. Zudem las er diesem Kreis vor der Käseglocke aus Briefen von Bernhard Hoetger vor – als Geburtstagsgeschenk für die Eltern, die schon lange für die Künstlerkolonie schwärmen.